----
Eigentlich war Schwester Freyja gegen
zu viel Trubel im Hospital. Eigentlich würde eine Frau, die einen
Tag vorher erst entbunden hatte, Ruhe brauchen, keine Horden von
Verwandten und Freunden. Und eigentlich war sie doch froh, dass Lara
Larson eine so große Familie hatte, die sich um sie kümmern konnte.
Das würde die frischgebackene
Zwillingsmutter auch dringend nötig haben.
Lars begutachtete seine neuen
Schwestern mit einem Lächeln, doch darin verbargen sich sehr
gemischte Gefühle. Mutter und Kinder hatten die Geburt gut
überstanden und die beiden Zwillingsmädchen waren gut entwickelt
und mussten nicht in den Brutkasten. Doch konnte die ausgelassene
Stimmung und Laras kleines Lächeln nicht darüber hinwegtäuschen
das etwas Entscheidendes fehlte. Lars konnte die Anstrengungen und
die Sorgen der letzten Tage und Wochen im Gesicht seiner Mutter
sehen. Was würde werden wenn der Vater der Mädchen nicht mehr
gefunden wurde?
Irgendwie hatte sich Lars in den
letzten Monaten zum Oberhaupt des Larson-Clans entwickelt, denn jeder
kam mit seinen Sorgen zu ihm. Auch war er seit der Geburt von Philipp
und Lukas mit dem einzigen Mediziner in Strangetown befreundet. Also
wunderte es den großen Mann nicht, dass Arthur Einsam ihn nach
draußen bat und mit dem neusten Problem in der Familie
konfrontierte.
„Ich bin mit den Babys zufrieden“
erklärte der Doktor, „aber Deine Mutter macht mir Sorgen.“
„Was ist mit ihr?“ fragte Lars
erschrocken. „Sie macht doch einen guten Eindruck auf mich.“
„Oh, körperlich ist sie völlig in
Ordnung, wenn man bedenkt was sie gerade geleistet hat. Aber ihr
seelischer Zustand gefällt mir nicht.“
Lars seufzte. „Ich weiß. Aber wir
können meinen Vater nicht herbeizaubern. Und eigentlich... gehe ich
inzwischen vom Schlimmsten aus.“
„Gut möglich. Aber genau deswegen
müsst Ihr ihr jede Hilfe bieten, die Ihr geben könnt.“
„Wir sind für sie da, egal wie“
versicherte Lars. „Ihr und meinen Geschwistern wird es an nichts
fehlen.“
Doktor Einsam nickte. Das Verschwinden
von Terry hatte wenigstens ein Gutes: es hatte die Familie noch mehr
zusammen geschweißt. Aber fehlen würde Lara auf jeden Fall etwas,
eben das, das ihr die Familie nicht geben konnte.
Während sein Gatte sich mit dem Doktor
unterhielt und die Kinder die Babys begutachteten, ging Pascal
frische Luft schnappen. Er nutzte die ruhigen Minuten um Sirius auf
dem Laufenden zu halten, worum sein Ältester gebeten hatte, seit
sein geliebter Opa verschwunden war.
Er erzählte ihm alle Details über die
Zeitreise, die Niels und Justin unternommen hatten und natürlich
auch das mit der Ankunft der Zwillingsmädchen Lisa und Theresa
niemand mehr daran dachte, dass nicht viel bei dem riskanten
Unternehmen herausgekommen war.
Doch so aufregend die neuen
Familienmitglieder auch waren, Sirius verlor nicht das Wesentliche
aus den Augen.
„Und sie haben wirklich nichts
gefunden? Gar nichts? Onkel Friedbert muss doch irgendwo was
gespeichert haben. Selbst ein Superhirn wie er braucht einen
Kalender. Ich jedenfalls wüsste nicht wie ich ohne mein Smartphone
noch meine Vorlesungen finden würde und mein Gedächtnis ist
bestimmt nicht schlecht.“
Pascal musste lachen. Sirius war in der
Tat alles andere als vergesslich und dumm, doch das änderte nichts
am Ergebnis der Zeitreise. Er seufzte.
„Nur diesen Ort, Kaiserbuckel.
Vielleicht war damit auch nicht dieser Weinberg in Simgermania
gemeint, aber ich hatte bisher keine Gelegenheit zum recherchieren.“
Pascal machte eine kurze Pause, dann seufzte er wieder. „Ich habe
später noch genug Zeit mir Gedanken um Friedberts Urlaubsorte zu
machen. Jetzt muss ich mich erst mal um die Jungs kümmern.“
Vater und Sohn verabschiedeten sich mit
dem Versprechen bald wieder zu telefonieren. Kaum war das Gespräch
beendet, verfiel Sirius in dumpfes Brüten, obwohl seine Freunde auf
ihn warteten.
Aber die Gedanken an seinen Großvater
ließen ihm keine Ruhe.
Immer wieder ging ihm der mysteriöse
Ort durch den Kopf. Irgendetwas sagte ihm das sein Vater mit seiner
Vermutung falsch lag, wenn er an einen Urlaubsort dachte.
Sirius begann mit dem Wort zu spielen.
Er zerpflückte es, baute es neu zusammen, versuchte es zuzuordnen.
Und plötzlich war ihm alles klar.
Er ging vor das Studentenwohnheim, wo
seine Freunde es sich an diesem heißen Spätnachmittag bereits im
Schatten der Palmen gemütlich gemacht hatten. Seine Freundin Josi
bedachte ihn mit einem „endlich-tauchst-du-auf“ Blick, doch sagte
kein Wort. Titus lag wie gewöhnlich in den Armen irgendwelcher
Campusschönheiten und ließ es sich gut gehen.
Ohne Rücksicht auf Titus Liebesleben
trat Sirius ihn an den Fuß, um seinen Freund auf sich aufmerksam zu
machen.
„Tits, steh auf. Wir müssen sofort
weg.“
Der Angesprochene hob missmutig den
Kopf.
„Du sollst mich nicht so nennen!“
Sirius grinste. „Warum, es passt
doch. Umgeben von Titten.“
Titus grummelte weil die Mädchen
kicherten, dann gab er auf.
„Okay, okay! Was willst Du!“
„Ich weiß wo mein Großvater ist.
Bring mich hin.“
Die Geschwister sprangen auf, doch
Titus wollte sich nicht den Abend vermiesen lassen.
„Verdammt, Sirius! Siehst Du nicht,
ich lass hier ne Party steigen. Ich hab ne Menge Geld für Bier und
guten Stoff ausgegeben, die Mädels sind da, also warum rufst du
nicht einfach die Polizei an!“
„Titus!“ warf Josephine dazwischen.
„Was ist wichtiger, Dein Freund oder diese Pleasentview-Miezen?!“
„Du sollst sie nicht so nennen!“
giftete ihr Bruder zurück. „Sag Du lieber Deinem Freund, das er
mir nicht immer die Tour vermasseln soll!“
Sirius zuckte gleichmütig die
Schultern und machte sich auf den Weg zum Parkplatz. In seiner Hand
klimperte ein Autoschlüssel.
„Da Du heute Abend beschäftigt bist,
wird es Dir sicher nichts ausmachen, wenn ich mir Deine Karre leihe.“
Titus erkannte das Klimpern. Wütend
fuhr er seine Schwester an.
„Du hast ihm verraten wo meine
Schlüssel sind? Bist Du verrückt? Dad bringt mich um, wenn nur ein
Kratzer ans Auto kommt und ich weiß wie Sirius fährt!“
Blitzschnell waren Bier und Mädels
vergessen und Titus stürzte seinem Freund hinterher.
„Du hast doch noch nie nen Sportwagen
gefahren! Du fliegst doch gleich aus der ersten Kurve!“
„Wenn Du mich nicht fährst, dann
versuch ichs eben selbst.“
Seufzend nahm Titus Sirius den
Schlüssel ab und öffnete die Fahrertür.
„Los, steigt schon ein, ehe ichs mir
anders überlege.“
Sirius grinste. Er hatte schon immer
gewusst welche Knöpfe er bei seinem Freund drücken musste um an
sein Ziel zu kommen.
Er quetschte sich mit Josi auf den
Beifahrersitz und verfiel wieder ins Grübeln, während Titus den
gelben Flitzer souverän über den Campus und raus in die Wüste
lenkte.
„Okay Meister, wo solls nun
hingehen?“ unterbrach dieser das Schweigen.
Sirius erzählte den Geschwistern was
er von seinem Vater erfahren hatte.
„Dad meinte es wäre irgendwo in
Simeropa, doch ich glaube, es ist nur zwei Stunden von hier, zwischen
Strangetown und Sim Angelos!“
„Es gibt keine Erhebung mit solch
einem Namen in diesem Gebiet“ meinte Josi zweifelnd.
„Richtig“ stimmte Sirius zu. „Weil
es kein Berg, sondern der Name einer Person ist. Es ist ein
Anagramm.“
Die beiden starrten ihn an.
„Kaiserbuckel kann man umstellen zu
Klaus Becker“ verkündete Sirius aufgeregt. Der hat sein
Privatlabor angeblich mitten in der Wüste, in einer Art Burg, die er
von seinem Großonkel geerbt haben soll. Der alte Knabe war
mindestens so verrückt wie Friedbert.“
„Und wo ist das „i“ hin
verschwunden?“ murrte Titus, sich wieder auf die schnurgerade
Straße konzentrierend.
Josi kicherte. „Ich habe von ihm
gehört. Angeblich nannte seine verstorbene Frau ihn Klausi.“
„Mag sein das Du Recht hast, Kurios“
murrte Titus weiter, „aber wenn das sich hier als falsch raus
stellt, hab ich dich das letzte Mal durch die Gegend kutschiert und
Du schuldest mir ne Tankfüllung!“
Es war schon dunkel als sie endlich an
ihrem Ziel angekommen waren. Friedberts dunkelblauer Van verriet
ihnen das Sirius tatsächlich Recht hatte, doch das war schnell
unwichtig.
Das Anwesen stand lichterloh in
Flammen.
Titus stieg in die Bremsen und die
jungen Leute sprangen aus dem Wagen.
„Heilige Simgöttin“ entfuhr es
Titus leise, kaum hörbar gegen das Tosen der Flammen.
„Wer auch immer dort drin ist, hat
keine Chance mehr.“
Titus riss sein Handy aus der Hose und
betete dass er hier Empfang hatte um die Feuerwehr zu rufen. Sirius
indessen stürzte zum Gebäude, in der Hoffnung irgendwo noch eine
freie Passage in das brennende Gebäude zu finden. Josi folgte ihm.
„Sirius, nicht! Bring Dich nicht
selbst in Gefahr, bitte!“ flehte sie, fürchtete sie doch ihr
Freund könnte in die Flammen laufen.
Die Angst war nicht unbegründet.
Sirius versuchte, verzweifelt nach seinem Großvater rufend, in das
Haus einzudringen. Doch die Flammen ließen ihm keine Chance.
Josephine brachte Sirius zurück zu
ihrem Bruder, einen sicheren Abstand zu dem Inferno suchend. Die drei
mussten hilflos beobachten, wie die Flammen ihr Werk taten.
Der junge Mann in ihren Armen zitterte
am ganzen Körper. Kein Wort des Trostes konnte ihm den Schmerz
nehmen, den er empfinden musste. Josi hoffte nur, dass sie mit der
Zeit ihrem Freund helfen konnte, über seinen Verlust hinweg zu
kommen.
Sie wussten nicht wie lange sie dort
standen, bis Feuerwehr und Polizei aus Strangetown und der Downtown
eintrafen. Die Feuerwehr überblickte die Lage schnell und der
Brandmeister erklärte das sie nicht viel tun konnten.
„Ich kann meine Männer nicht dort
rein schicken. Das Gebäude brennt in voller Ausdehnung, es ist zu
gefährlich jetzt nach Opfern zu suchen. Und da es hier keine
Wasserreserven gibt, müssen wir es einfach brennen lassen, bis es
von alleine ausgeht.“
Sirius jammert auf, die Simgötter und
sich selbst verfluchend. Wenn er doch nur schneller gewesen wäre!
Und so blieb ihnen allen nur zu warten,
bis es der Feuerwehr möglich war die Brandruine zu untersuchen. Sie
beobachteten den Tanz der Flammen, bis Sirius es nicht mehr aushielt
und sich abwendete. Seine Schritte lenkten ihn von dem Unglücksort
weg, bis er zur Straße hinunter starren konnte. Er würde später
dieser Straße folgen und nach Strangetown fahren um es der Familie
zu sagen. Aber er wusste nicht ob er die Kraft dazu haben würde.
Plötzlich riss ihn ein aufgeregter Ruf
aus der ohnmächtigen Starre. Josi winkte ihm von einer abgelegenen
Stelle, abseits von tödlicher Hitze und Flammen.
„Sirius, komm schnell, hier drüben!“
Missmutig das man ihn bei seiner Trauer
störte, folgte er ihrem immer aufgeregteren Winken. Doch bald wurden
seine Schritte schneller.
Die Feuerwehrmänner hatten das Gelände
abgesucht und waren offenbar fündig geworden.
Fassungslos ging Sirius auf die Knie.
Er erkannte die Gestalt am Boden, die er noch vor Sekunden ein Opfer
der Flammen wähnte. Und doch war das nicht der Mann, den er in
Erinnerung hatte.
Sein Blick glitt über den reglosen,
ausgemergelten Körper. Auch wenn sein Großvater nicht in dem
Gebäude umgekommen war, so mussten die Monate, in denen er vermisst
wurde, ihn zumindest an den Rand des Unvermeidlichen gebracht haben.
Während Sirius nach Terrys Puls
tastete, untersuchte Officer Rivendell den anderen Mann, der wie
aufgebahrt daneben lag. Sie berührte seine Hand, doch zog ihre
schnell wieder zurück.
„Dieser hier ist schon seit Stunden
tot, er ist kalt und steif wie ein Brett“ erklärte sie.
„Dann hat der andere ihn wohl raus
getragen“ erwiderte einer der Feuerwehrmänner.
Officer Rivendell warf Terry einen
kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf.
„So wie der aussieht?“ Sie musterte
wieder den Körper vor ihr.
„Warum sollte jemand eine Leiche
retten, wenn seine eigene Haut in Gefahr ist?“
Sirius bekam von dem Gespräch nicht
viel mit. Erleichtert konnte er einen Puls fühlen, schwach zwar,
aber regelmäßig. Er zog Terrys Kopf auf seinen Schoss und strich
ihm sanft über das schmutzige Haar. Josi und Titus saßen stumm bei
ihm und wachten mit ihm über den verletzten Mann. Sirius war dankbar
das seine Freunde bei ihm waren und es machte ihm nichts aus, dass
Tränen der Erleichterung unaufhaltsam über seine Wangen liefen.
Plötzlich flackerten Terrys Lider und
ein verständnisloser Blick streifte das tränennasse, grüne
Gesicht, das auf ihn nieder sah. Doch nur einen Moment später trat
das Erkennen in die braunen Augen.
„Nicht weinen, mein Kleiner.“
Sirius schniefte nun erst recht.
„Mann, Opa Terry. Du hast mir echt
einen Riesenschrecken eingejagt.“
Ein Lächeln huschte über Terrys
Gesicht, doch die Brandblasen und Abschürfungen auf seiner Haut
ließen ihn schnell damit aufhören.
„Ich habe solchen Durst.“
Sanft streichelte Sirius über Terrys
Brust, als wolle er ihm mit dieser Geste alle Unpässlichkeiten
nehmen.
„Der Krankenwagen kommt gleich. Halte
nur noch ein wenig durch.“
Der junge Mann legte seinen Großvater
vorsichtig ab um es ihm bequemer zu machen, so lange sie auf den
Krankenwagen warten mussten. Er ließ ihn nicht aus den Augen, falls
Terry wieder ohnmächtig werden sollte. Doch den hielt sein
schmerzender Kopf davon ab und eine Frage, die ihn quälte.
„Friederike?“
Hilflos wechselte Sirius einen Blick
mit den Polizistinnen. Officer Skadi Ase schüttelte den Kopf.
Sirius wusste nicht was er sagen
sollte, niemand außer den beiden Männern wurde hier draußen
gefunden. Was das bedeutete wollte er Terry lieber nicht erklären.
Beruhigt das der eine am Leben war,
widmeten sich die Polizistinnen dem anderen, der wohl nicht soviel
Glück hatte.
Officer Skadi Ase durchsuchte die
Taschen der Leiche und fand Autoschlüssel und Papiere.
„Ein Klaus Becker“ las sie laut
vor.
„Der Wissenschaftler?“ unterbrach
ihre Kollegin Rivendell sie und Skadi nickte.
„Eben der.“
Officer Rivendell schnaubte. „Der war
als komischer Kerl verschrien. Ob sein Labor in die Luft geflogen
ist?“
Skadi musterte den Toten mit einem
gewissen Bedauern.
„Dann würde er nicht hier, sondern
da drin liegen.“
Ihre Kollegin zuckte die Schultern und
erhob sich, weil der Krankenwagen ankam.
„Die Gerichtsmediziner sollen sich um
ihn kümmern.“
Endlich kamen die Sanitäter um Terry
zu versorgen. Sirius wich nicht von seiner Seite, er wollte seinen
Großvater nach Strangetown begleiten, bis er sicher sein konnte dass
der Mann sich wieder erholen würde.
Titus informierte seinen Vater das sie
in Strangetown übernachten würden und warum. Patrick war froh zu
hören das Terry am Leben war und versprach die Familien Kurios und
Larson anzurufen.
Routiniert versorgten die Männer des
Rettungsdienstes den Mann auf der Trage. Sirius trat zurück, als der
Wagen wenig später wendete und sich auf den Weg in die kleine
Wüstenstadt machte.
Gemeinsam mit seinen Freunden sah er
dem Krankenwagen nach, bis das Gefährt außer Sicht war.
„Danke fürs fahren, Tits“ murmelte
Sirius leise. „Ich schulde Dir zwei Tankfüllungen.“
„Vergisses“ gab Titus zurück. „Für
was hat man Freunde.“
Sirius nickte und stieg in den gelben
Sportwagen. Er wollte so schnell wie möglich nach Strangetown, um
bei der Familie zu sein, wenn Terry endlich wieder nach Hause
zurückkehrte.
-----
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen