Samstag, 22. Februar 2014

Teil 42 - Monster

Vorher: Teil 41 - Schlaflos

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Klaus hielt Wort. Unter dem Vorwand weiter nachzuforschen warum Terry die Vergiftung überlebt hatte, suchte er nach einer Möglichkeit Friederikes Anfälle zu unterbinden. Allerdings wusste er bereits seit einiger Zeit was genau Terry das Leben gerettet hatte, es waren die Alienhormone für die Schwangerschaft. Offensichtlich hatten sie dauerhaft etwas in Terry verändert, das ihn immun gegen gewisse Stoffe machte.
Klaus hatte Friedbert nie erzählt dass er das Geheimnis längst gelüftet hatte. Er war sich sicher, Terrys Leben würde wieder in Gefahr sein und vielleicht auch sein Eigenes, wenn Friedbert sie beide nicht mehr brauchte.




Also behielt er alles für sich und nutzte sein Wissen um an einem Medikament für Friederike zu arbeiten. Die Wahrscheinlichkeit war gegeben, dass auch ihr Körper noch von den fremden Hormonen beeinflusst wurde.
Auch hatte er sehr wohl mitbekommen, dass der Zustand der jungen Frau immer instabiler wurde, je mehr Zeit verstrich. Klaus vermutete, dass sich sämtliche Prozesse in ihrem Körper beschleunigt hatten. Was er nicht wusste war, ob es nach der Pubertät aufhören würde, oder ob sie in der Blüte ihrer Jahre sterben würde – als frühzeitig gealterte Frau.




Während Klaus im Labor forschte, schlich Friederike so oft es nur ging in den Rechnerraum um ihren Teil der Abmachung zu erfüllen.
Allerdings war das Zugangssystem kompliziert und in einer eigenen Programmiersprache geschrieben, die Friederike erst lernen musste. Trotz aller Mühe und trotz ihrer überragenden Intelligenz stieß sie immer wieder auf unerklärliche Schwierigkeiten und ihre Arbeit ging nur langsam voran.




Ihre Verzweiflung ließ Friederike immer aggressiver werden. Schon bald tobte sie vor Terrys Tür, weil sie diese nicht öffnen konnte. Ihre Wutschreie und Tritte gegen das massive Holz hallten durchs ganze Haus.




So bekam Friedbert mit das seine Tochter sich über seine Anweisungen hinweggesetzt hatte und stürmte nach oben. Wütend über ihr Vergehen gab er ihr eine Ohrfeige, ungeachtet seiner enormen körperlichen Kraft.
Klaus versuchte einzugreifen und den wütenden Mann zu beschwichtigen.
„Sie kann nichts dafür! Sie kann es nicht kontrollieren!“
Schwer atmend vor Zorn, wandte Friedbert sich Klaus zu, der unwillkürlich zurück wich. Endlich öffnete er die Fäuste und stapfte davon.
„Dann soll sie es lernen!“




Als Friedbert außer Sicht war, versuchte Klaus das aufgelöste Mädchen zu trösten.
„Lass uns nach Deinem Gesicht sehen. Vielleicht habe ich etwas womit wir das versorgen können.“
Friederike tastete vorsichtig nach ihrer Wange.
„Ist es sehr schlimm?“
Klaus setzte das Mädchen auf die Couch im kleinen Kaminzimmer.
„Nichts kann ein hübsches Gesicht verschandeln“ neckte er sie und ging ins Bad nebenan um nach einer Salbe zu suchen.
Friederike fühlte ihre Ohren rot werden.




Während Friedbert seine Tochter durch Ermahnungen und Arbeit zur Räson bringen wollte, versuchte Klaus es auf eine andere Weise. Er bot an ihr das Klavierspielen beizubringen, in der Hoffnung die Musik würde wie eine Therapie bei ihr wirken.
Friederike zögerte zunächst. An so etwas Delikates wie ein Musikinstrument hatte sie sich noch nie herangewagt. Sie wusste genau, einen Anfall ihrerseits würde das teure Instrument nicht unbeschadet überstehen. Doch Klaus ließ ihr keine Wahl und überredete sie. Wer Nacht für Nacht auf dem Dach ausharrte und den Grillen lauschte, der musste auch empfänglich für Musik sein.




Er sollte Recht behalten. Friederike lernte schnell und waren ihre Anschläge zunächst unkoordiniert und hektisch, so schien sie das Spiel tatsächlich zu beruhigen. Und wenn ihre Finger doch mal hart auf die Tasten knallten um ihren Frust zum Ausdruck zu bringen, legte Klaus seine Hand darauf, bis die Wärme, die davon ausging, sie wieder entkrampft hatten.




Manchmal lagen sie vor dem Kamin, die Bücher vor ihnen ausgebreitet und lasen, oder lernten.
Während ihr Vater sie weiter mit seinen Experimenten quälte, versuchte Klaus ihren Geist mit Poesie abzulenken. Friederike war erstaunt wie man Worte noch verwenden konnte, nicht nur für harte Fakten, sondern auch um das auszudrücken, das ihr noch viel zu fremd war: Gefühle und Sehnsüchte.
Klaus stellte gerade das Glas mit seinem geliebten Rotwein zurück auf den wertvollen Teppich, das Aroma so lange wie möglich haltend und genießend, als Friederike ein einzelnes Blatt Papier aus ihrer Mappe nahm und ihm vorsichtig zu schob. Klaus sah auf ihre nervöse Schrift und lächelte.
„Was ist denn das?“
Friederike räusperte sich verlegen.
„Ist nicht Rilke, ich weiß.“




Klaus las ihre selbst gedichteten Verse, dann sah er wieder auf und lächelte noch tiefer.
„Nicht Rilke, aber Rike. Das ist noch viel besser.“
Friederike spürte ihre Wangen glühen und wandte verlegen den Blick ab.
Sie hörte so gerne wenn er sie so nannte.




Friedbert sollte das alles nur Recht sein, war eine ruhige Friederike doch eine produktive Friederike. Zum Glück wusste er nicht wie produktiv sie war.
Beharrlich arbeitete sie am Hacken des Zugangssystems weiter, wenn Friedbert aus dem Haus war und Klaus schlief. Und wenn ihr Geist Ruhe von all der Arbeit brauchte, saß sie wieder auf dem Dach und genoss die Nacht.




Immer öfter bekam sie dabei Gesellschaft.
Friederike realisierte dass sie sich freute, wenn Klaus die Treppe heraufkam um mir ihr gemeinsam in die Sterne zu schauen. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie besser in Astrophysik war als er. Er neckte sie wenn sie zu sehr mit ihrem Wissen prahlte, doch er war nie eifersüchtig. Er ging auf sie ein, bot ihr aber auch Kontra. Er nahm sie ernst, gab ihr das Gefühl eine reale, vollwertige Person zu sein, nicht nur ein Aushängeschild, oder eine Laborratte.




Manchmal lagen sie einfach nur stumm nebeneinander und sahen nach oben. Manchmal trafen sich ihre Blicke und es war beiden, als würden sie sich ohne ein einziges Wort verstehen.
Und manchmal waren sie sich so nah, dass sie die Wärme des jeweils anderen spüren konnten.




Doch so schön die gemeinsame Zeit auch war, irgendwann musste Klaus ins Bett. Und immer öfter schlich Friederike ihm nach, weil sie sich ohne ihn einsam fühlte.
Sie bewegte sich so lautlos, dass er nicht merkte wie sie sich in sein Zimmer schlich und ihn beobachtete. Manchmal jedoch schien er zu lächeln und Friederike wunderte sich, ob er ihre Anwesenheit im Schlaf spüren konnte.
Sie konnte die ganze Nacht so dasitzen und den schlafenden Mann beobachten.
Schlaf war etwas, das sie nicht mehr kannte. Sie kannte nicht mehr das Gefühl erholt aufzuwachen, oder gar zu träumen. Also beobachtete und beneidete sie ihn um seine Fähigkeit den Wahnsinn des Alltags für ein paar Stunden zu vergessen.




 
Da war noch etwas, was sie hierher trieb.
Es war dieses Gefühl, das sie nicht benennen konnte. Das Leuchten auf seiner Haut, wenn das Mondlicht durchs Fenster fiel. Das Spiel der Muskeln darunter, wenn er sich im Schlaf bewegte. Das Verlangen ihn vorsichtig zu berühren.
All die Dichtkunst, die Klaus ihr zeigte, sprach von diesem Gefühl, das sie bei dem Anblick empfand. Doch sie wusste nicht damit umzugehen.




Trotz alldem, trotz all der Mühe, die Klaus sich gab um sie abzulenken, bekam Friederike ihre Wutanfälle nicht in den Griff. Sie begann weiterhin ohne Vorwarnung zu toben und hätte wohl schon das halbe Mobiliar zertrümmert, wenn er sie nicht aufgehalten hätte. Das er sich damit selbst in Gefahr brachte war ihm sehr wohl bewusst, er konnte sie im Gegensatz zu früher kaum noch festhalten.
Friederike war noch größer und stärker geworden.




Abends ging Friederike wie gewohnt aufs Dach, nachdem ihr Vater das Haus verlassen hatte. Normalerweise würde Klaus später nachkommen, doch diesmal stand er bereits an den Zinnen, in die Nacht hinaus starrend, wie sie es sonst tat, wenn sie auf ihn wartete. Sie trat neben ihn und er drehte ihr den Kopf zu.
Sie vermisste das Lächeln, das sich normalerweise zeigte, sobald er die junge Frau sah. Stattdessen sah sie Besorgnis.




„Fühlst Du Dich wieder besser?“ erkundigte er sich, nachdem sie sich nach ihrem letzten Anfall in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte.
„Ich denke schon“ gab sie unsicher zurück und verfiel danach in Schweigen.
Klaus wendete sich vollends um und studierte ihr Gesicht. Erschöpfung zeichnete sich darin ab, der letzte Anfall war schlimm gewesen. Er wünschte sie könnte schlafen und sich davon erholen.
„Es war heftig diesmal“ unterbrach er das Schweigen. „Ich wünschte wirklich, ich käme besser voran.“




„Du tust doch was Du kannst“ gab Friederike hilflos zurück und Klaus musste den Wunsch unterdrücken sie in die Arme zu nehmen und zu trösten.
„Es tut mir leid“ sagte er stattdessen leise.
Friederike schüttelte den Kopf. „Dir muss nichts leid tun. Wahrscheinlich kann man nichts dagegen tun. Ich bin eben ein Monster.“
„Du bist nichts weniger!“ widersprach Klaus, kaum das sie geendet hatte. „ER ist das Monster, weil er Dich so behandelt. ER ist für Deine Konstitution verantwortlich. ER, nicht Du.“
Seine Stimme wurde leiser. „Und ich bin auch eines, weil ich ihm geholfen habe.“




Überrascht musterte Friederike Klaus, der sich nun beschämt wegdrehte. Das Sprechen fiel ihm plötzlich schwer.
„Friedbert“ erklärte er weiter, „Er... Das Gift, für Deinen anderen Vater... das hat er von mir.“
Friederike starrte den Mann vor sich an. „Was sagst Du da?“
Klaus atmete tief durch.
„Ich sagte doch... schwerer Fehler. Ich... war so dumm und habe ihm alles geglaubt. Jede einzelne Lüge.“
Friederike brauchte einen Moment um ihre Gedanken zu ordnen.
„Du meinst... mein Vater wollte... Daddy umbringen?!“ stieß sie hervor, endlich die Bedeutung der Worte begreifend.
Klaus nickte.
„Er hatte mir die tollsten Geschichten erzählt, dass Terry den Tod verdienen würde und all das. Und ich habe ihm geglaubt. Ich wollte ihm glauben. Ich dachte, das war ein geringer Preis für das, was ich bekommen würde.“




Sie starrte ihn an.
„Und was solltest Du bekommen?“
Klaus schloss kurz die Augen, dann schüttelte er den Kopf.
„Das ist nicht mehr wichtig. Wichtig ist, das ich endlich die Wahrheit erkannt habe. Und das ich nicht wie er sein will. Auch wenn das wohl... ziemlich spät kommt.“
Friederike war überwältigt von dem, was sie gerade gehört hatte. Ihre Gedanken glitten zu den vergangenen Wochen, wie passte das alles zu dem Mann, den sie in ihrer gemeinsamen Zeit kennengelernt hatte?
„Wolltest Du mir deshalb helfen? Um es wieder gutzumachen?“
Klaus nickte langsam, froh das sie ihn nicht in der Luft zerrissen hatte, auch wenn er es dreimal verdient hatte.
„Unter anderem.“




 
Friederike musterte ihn stumm und das tat Klaus mehr weh, als wenn sie ihn angeschrien, oder zu Mus geschlagen hätte. Denn dass sie das gekonnt hätte, das war ihm bewusst. Er hätte sich wohl nicht mal gewehrt.
„Daddy... ist er okay?“ brach sie irgendwann das Schweigen.
Klaus nickte. „Die Alienhormone haben ihn immun gemacht.“
„Dann wird mein Vater sich was anderes einfallen lassen“ schlussfolgerte Friederike traurig.
„Nein, er wartet immer noch auf das Ergebnis der Nachforschungen.“




Friederike drehte erstaunt den Kopf zurück zu ihm.
„Du hast es ihm nicht gesagt? Warum?“
Klaus zuckte leicht mit den Schultern.
„Weil ich zum Glück wieder bei Verstand bin.“
Sie nickte langsam und ihr Blick schweifte wieder in die Dunkelheit.
Da sie nichts mehr sagte, wollte Klaus sich zum Gehen wenden, akzeptierend dass das, was sich zwischen ihnen entwickelt hatte, nun passé war. Wenigstens war sein Gewissen erleichtert, auch wenn er dafür einen hohen Preis zahlen musste.
„Wie viele Meter es wohl da runter sind?“




Klaus stoppte mitten in der Bewegung als er ihre Worte hörte und sah zurück. Friederike stand dicht an den Zinnen. Ohne Nachzudenken eilte er zu ihr und zog sie an sich.
Sie wehrte sich nicht, doch sie nahm den Blick nicht vom Boden unter ihr.
„Denk nicht mal dran“ versuchte Klaus sie abzulenken. „Nichts ist das Aufgeben wert, gar nichts. Weder er, noch ich.“
Friederike spürte die Wärme seines Körpers, die Sicherheit, die seine Arme boten. Sie spürte wieder dieses Gefühl, welches sie überkam, wenn sie zusammen waren. Sie wollte es nicht aufgeben, sie konnte nicht ohne ihn sein, egal was er getan hatte.




„Ich bin eine Gefahr für Dich“ gab sie trotzdem zu bedenken.
„Das ist mir egal“ wisperte er in ihr Ohr. „Ich weiß auf was ich mich einlasse.“
„Und wenn ich Dich verletzte?“
„Das wirst Du nicht. Wenn Du mir nur verzeihst, alles andere ist mir gleich.“
Endlich schmiegte sie sich in seine Arme und Klaus schloss ihren Körper darin ein. Glücklich, dass sie trotz Allem seine Gefühle zu teilen schien, schaute er mit ihr in die Sterne.




Friederike saß diese Nacht nicht neben ihm auf dem Bett, sondern hielt ihn in ihren Armen, seinen Schlaf bewachend. Das Mondlicht beschien sie nun beide und wenn Klaus sich beim Träumen bewegte, spürte sie es.
So wollte sie es von nun an immer haben. Nichts gab ihr mehr Frieden und innere Ruhe, als seine Nähe und Wärme und sein Vertrauen.





Am nächsten Morgen war sie verschwunden. Klaus wusste, Friedbert rief immer schon früh nach ihr. Er schwang die Beine aus dem Bett und starrte aus dem Fenster, ins Morgenrot. Würde Friedbert für immer ihr Leben bestimmen? Wie würde es mit Friederike und ihm weitergehen? Sie war noch jung, das wusste er. Er würde warten und ihr die Entscheidung überlassen, ob sie bei ihm bleiben wollte, oder nicht. Doch dazu mussten sie beide frei sein.
Klaus ging ins Bad um sich für den Tag frisch zu machen. Er würde mit Friedbert reden.





Er fing ihn im Labor ab.
„Ich muss mit Dir sprechen.“
Genervt musterte der andere Blonde Klaus.
„Ich habe keine Zeit zum Reden. Und Du auch nicht, da wartet eine Menge Arbeit!“
„Verdammt nochmal, Friedbert!“ fuhr Klaus auf. „Hast Du jemals etwas Anderes im Kopf als Arbeit? Und wenn nicht, könntest Du Dir vorstellen das andere Sims gerne ein Leben hätten, außerhalb des Labors?!“
Friedbert musterte Klaus misstrauisch, sich über dessen plötzlichen Aufstand wundernd.
„Von was redest Du? Es war klar das wir hier nichts Anderes tun würden als arbeiten. Oder für was hast Du selbst ein Labor hier eingerichtet?“




„Für Forschungen natürlich, was denn sonst“ gab Klaus zurück. „Aber darum geht es hier nicht. Du sperrst uns ein, das ist Freiheitsberaubung! Von dem was Du mit dem armen Tropf dort oben gemacht hast, nicht zu sprechen! Was hat er Dir getan Friedbert? Sags mir, denn Deinen Lügen glaube ich kein Wort mehr.“
Friedberts Brauen zogen sich immer mehr zusammen, je mehr Klaus sich in Rage redete.
„Das geht Dich nichts an. Und nun tu was ich Dir gesagt habe und das ein wenig schneller, ich verliere nämlich langsam die Geduld!“





„Dann wirst Du lernen müssen Geduld zu haben! Denn ich habe keine mehr mit Dir! Ich mache Deine Spielchen nicht mehr mit, ich habe genug von Deinem Wahnsinn!“
In Friedberts Augen begann es zu glitzern, was Klaus jedoch in seiner Aufregung nicht wahr nahm.
„Was willst Du damit sagen?“ fragte er gefährlich ruhig.
„Lass uns gehen“ forderte Klaus. „Du kannst das verdammte Haus und das Labor haben. Werd damit glücklich.“
Friedbert ballte die Fäuste. „Kommt nicht in Frage“ zischte er. „Die beiden gehören mir, ich kann mit ihnen machen was ich will!“





„Das kannst Du nicht“ gab Klaus entschlossen zurück. „Friederike kommt mit mir, wenn sie mich will.“
Endlich begann Friedbert zu verstehen.
„Du Mistkerl vergreifst Dich an meiner Tochter?!“
„Ich habe nichts getan wessen ich mich schämen müsste“ fauchte Klaus zurück. „Du jedoch, solltest Dich wirklich in Grund und Boden schämen, für das was Du ihr und ihrem Vater angetan hast. Weißt du eigentlich was mit ihr passiert, dank Deiner Experimente, Deiner Mittelchen um einen Supermenschen zu züchten? Nein, denn das kümmert Dich nicht. Sie ist fast erwachsen, körperlich und geistig. Aber Du hast sie ihrer Kindheit beraubt und vielleicht auch ihres restlichen Lebens. Wenigstens das soll sie in Frieden verbringen können. Wir packen unsere Sachen, wenn wir fertig sind, finden wir die Eingangstür geöffnet vor!“





Klaus wollte sich an Friedbert vorbei drücken um das Labor zu verlassen, doch der Mann ließ ihm keine Chance dazu. Ein harter Stoß vor den Brustkorb ließ ihn zurücktaumeln und nahm ihm den Atem. Verzweifelt schnappte er nach Luft um sich zu wehren, doch da bekam er schon den nächsten Stoß.
Friederike, die vom Geschrei der Männer angelockt wurde, sah mit Entsetzen, wie Friedbert auf seinen Widersacher losging.





Der nächste Stoß folgte so schnell und hart, dass Klaus zu Boden ging. Friederike versuchte ihren Vater aufzuhalten, doch Friedbert schob sie einfach zur Seite, so sehr sie auch auf ihn einschlug und schrie.
Klaus lag benommen am Boden. Wie ein großer, schwarzer Schatten kam Friedbert über ihn.
„Sie gehört mir“ zischte er und packte den hilflosen Mann.
Ein hässliches Knacken war das Letzte, das Klaus noch hörte und spürte.





Mit einem Aufschrei ließ sich Friederike auf die Knie fallen.
„Was hast Du getan!“
Angewidert wandte Friedbert sich ab.
„Er hat es verdient. Das bekommt man, wenn man sich gegen mich stellt, also pass auf was Du tust!“
Friederike hörte nicht das Schlagen der Tür, als ihr Vater den Raum verließ. Blind vor Tränen tastete sie über den leblosen Körper, der ausgestreckt vor ihr lag, rüttelten sacht an ihm, in der Hoffnung Klaus würde seine Augen wieder aufschlagen und sie mit seinem Lächeln necken.
Doch nichts würde ihn jemals wieder Lächeln lassen.





Irgendwann erhob Friederike sich mit schmerzenden Knien. Sie wusste nicht wie lange sie dort ausgeharrt hatte, sie wusste nur, hier, auf dem kalten Steinboden, konnte er nicht bleiben.
Sie hob seinen zerbrochenen Körper vorsichtig auf ihre Arme, sein Gewicht kaum spürend. Langsam, fast vorsichtig als habe sie Angst ihn zu wecken, trug sie Klaus nach oben.





Sie legte ihn auf seinem Bett ab und weinte. Sie trauerte um all das, was er ihr gegeben hatte, um die Musik, die Sterne, die Poesie. Sie trauerte um seine Scherze, die täglichen Neckereien, seine Geduld. Sie trauerte um die Wärme, die sie umgab, nur weil er einfach bei ihr war. Und sie trauerte um dieses Gefühl, das sie kennengelernt hatte und dessen Bedeutung sie jetzt endlich verstand, jetzt, wo die Quelle nicht mehr da war.
Sie trauerte um ihre Liebe.





Eine herrische Stimme ließ sie aufschrecken, Friedbert rief nach ihr. Ein Zittern lief durch ihren Körper bei dem Klang und weckte ein neues Gefühl in ihr, eines, das dem anderen in seiner Stärke und Macht in nichts nachstand.
Mechanisch löste sie sich von dem Körper, den sie umklammert hielt und richtete sich auf.
Doch es war nicht mehr das Mädchen, das dort stand, es war eine Frau, die nur noch eines fühlte: kaltblütigen Hass.





Sie hörte Friedbert nebenan nach ihr rufen. Zielstrebig ging sie auf ihn zu und packte ihn an der Kehle, seinen Körper mit eben jener Kraft zu Boden schmetternd, die auch den Mann zerstört hatte, den sie liebte.





Ihre Finger schlossen sich wie Stahlklammern um den Hals ihres Erzeugers. Friedbert spürte dass er keine Chance mehr gegen sie hatte und nackte Angst schlich sich in seine Augen.
Und während sie immer erbarmungsloser zudrückte und das Leben unaufhaltsam aus Friedberts Körper wich, verging der letzte Rest der Wärme und Liebe, die Klaus in Friederikes Herz gepflanzt hatte.



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Mittwoch, 19. Februar 2014

Teil 41 - Schlaflos

Vorher: Teil 40 - Wagnis

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Wenn Friederike dachte ihr Kindheit war von nichts Anderem beherrscht als lernen, dann hatte sie sich geirrt. Seit sie ein Teenager war, trieb Friedbert sie noch härter, noch erbarmungsloser an.
Er hatte kein freundliches Wort mehr für sie, er war mit nichts zufrieden. So sehr sie sich auch bemühte, es war ihm nie genug.



Nahm sie sich eine Auszeit von den Büchern und Experimenten, weil der ständige Druck seinen Tribut forderte, schimpfte er sie undankbar und faul.



Doch nicht nur ihr Vater machte ihr zu schaffen. Die Mauern der Burg, die Wüste und diese Einsamkeit zerrten an ihren Nerven. Die Wutanfälle kamen in immer kürzeren Abständen, sie wurden immer heftiger. Sie versuchte sie vor Friedbert und Klaus zu verheimlichen, doch sie wusste nicht wie lange sie das noch durchhalten würde.
Friederike hatte Angst irgendwann den Verstand zu verlieren.




Nach wie vor schlich sie sich entgegen Friedberts Verbot in den ersten Stock, an die Zimmertür hinter der der Mann gefangen war, der sie geboren hatte. Sie lauschte auf Geräusche, sie hörte seine schlurfenden Schritte. Und sie realisierte, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, mit ihm sprechen zu können. Friederike lehnte sich gegen die Tür und räusperte sich leise, darauf bedacht dass Friedbert nichts mitbekam.
„Daddy?“
Drinnen hob Terry ungläubig den Kopf, zunächst seinen Sinnen nicht trauend. Doch wieder rief die leise Stimme ihn. Er eilte zur Tür.
„Friederike?!“




Sekundenlang war nichts zu hören und Terry wollte sich schon enttäuscht abwenden, als leises Schluchzen durch die Tür drang.
„Daddy, es tut mir leid...“
Ungläubig starrte er die Türe an, dann lehnte er seinen Kopf an das harte Holz, um seiner Tochter näher zu sein.
„Es muss Dir nicht leid tun. Du hast keine Schuld.“
Friederike stemmte sich gegen die Tür, doch sie gab keinen Millimeter nach.
„Ich... ich kann nichts tun. Ich kann diese Tür nicht öffnen.“
Jegliche Hoffnung, die in Terry aufgekeimt war, zerfiel. Er war glücklich dass seine Tochter sich endlich seiner erinnern zu schien, doch die Hoffnungslosigkeit, die er in ihrer jungen Stimme vernahm und die Gewissheit dass er immer noch in diesem Zimmer ausharren musste, ließ ihn beinahe zusammenbrechen. Er krallte seine Finger in das Holz.
„Vielleicht findest Du einen anderen Weg. Bitte!“
Wieder schniefte es und ehe Friederike antworten konnte, bellte Friedberts Stimme nach ihr und sie verschwand.
 



Abends, wenn Friedbert das Haus verließ um seinen heimlichen Geschäften nachzugehen, saß Friederike gerne auf dem Dach der Burg und starrte über die Zinnen hinaus in die Wüste. Sie konnte die ganze Nacht so sitzen, denn inzwischen brauchte sie keinen Schlaf mehr, wie Friedbert. Doch wirklich genießen konnte sie die einsamen Stunden, die sie Ruhe vor ihrem tyrannischen Vater hatte, nicht. Den kleinen Geräuschen der Nacht lauschend, hing sie ihren Gedanken nach, die von innerer Unruhe und Zorn bestimmt waren.
Auch diese Nacht starrte sie vor sich hin, hätte man sie gefragt was sie dort draußen sieht, hätte sie es nicht sagen können. Doch im Gegensatz zu sonst war sie heute nicht der einzige Sim, der die Kühle der Nacht genießen wollte.




Klaus ging neben ihrem Stuhl in die Hocke und lächelte zu ihr auf.
„Friert es Dich nicht, wenn Du die Nächte hier oben verbringst? Nachts wird es in der Wüste ziemlich frisch.“
„Schleichst Du mir etwa nach?“ konterte Friederike mit einer Gegenfrage, das leichte Lächeln erwidernd.
Klaus schmunzelte. „Nein, aber es fällt schon auf wenn junge Damen die Nächte auf dem Dach verbringen.“
Der neckende Unterton in Klaus Stimme ärgerte und amüsierte Friederike gleichermaßen. Sie gluckste kurz, doch dann starrte sie wieder in die Nacht hinaus, als wäre er gar nicht da.
„Was soll ich denn sonst tun“ antwortete sie nach einer Weile.
„Schlafen, wie andere Sims auch?“




Friederike schluckte die aufkommende Bitterkeit hinunter und stand auf.
„Ich kann nicht schlafen.“
Besorgt, weil der kleine Anflug von Leichtigkeit aus ihrer Stimme verschwunden war, kam Klaus ihr nach.
„Willst Du drüber reden?“
Friederike drehte sich wieder zu ihm und musterte ihn misstrauisch.
„Was willst Du, Klaus? Warum bist Du hier rauf gekommen?“
Nun war es an ihm in die Nacht zu starren.
„Vielleicht, weil auch ich jemanden zum Reden brauche.“




Verwundert musterte das Mädchen den Mann mit dem markanten Gesicht. Klaus hatte sich seit ihrer Ankunft in der Burg ihr gegenüber als freundlich, aber meist zurückhaltend erwiesen. Er hatte nichts zu den Geschehnissen gesagt, noch wusste Friederike was zwischen Klaus und Friedbert vor sich ging. Sie wusste nur, dass inzwischen nicht nur sie unter der tyrannischen Art ihres Vaters zu leiden hatte, Klaus wurde ebenso unter Druck gesetzt.
Sie kam neben ihn und schaute ebenfalls wieder in die Nacht.
„Das ist das erste Mal seit Langem das sich jemand mit mir unterhalten möchte.“




Klaus seufzte. „Das Gefühl kenne ich.“
„Dad und Du, Ihr redet wohl nicht viel, wenn ihr alleine seid“ zog Friederike ihn auf.
Das Lachen, dass der Mann neben ihr von sich gab, klang hohl.
„Man kann nicht mit jemandem reden, der nicht da ist, oder?“
„Oh“ gab Friederike zurück. „Ich dachte Dad und Du...“
Klaus verzog das Gesicht. „Nein. Oder besser gesagt... nicht mehr.“




„Nicht mehr?“
„Jeder macht mal Fehler“ meinte Klaus nur und starrte wieder vor sich hin.
„Ja“ gab Friederike knapp zurück und musterte ihn verstohlen. Den Eindruck eines glücklichen Sim machte er wirklich nicht. Ein anderer unglücklicher Mann kam ihr in den Sinn, im Zimmer genau unter ihnen. Ihre Gedanken rasten. War das ihre Chance?
„Hilf mir meinen Daddy zu befreien.“
Klaus drehte sich langsam um und starrte sie an, dann schüttelte er resigniert den Kopf.“
„Das kann ich nicht.“




Friederike spürte wieder den Zorn in ihr hochkochen und sie ballte die Fäuste um zu verhindern das sie sich auf Klaus stürzte.
„Warum nicht! Du bist genau so gemein wie mein Vater!“
Hilflos hob er die Hände. „Beruhige Dich! Ich kann keine der Türen hier öffnen! Er hat alles umprogrammiert!“
Das Mädchen tobte, als hätte sie seine Worte gar nicht gehört. Klaus packte sie an den Handgelenken und drückte sie auf den Stuhl.




„Ruhig, Friederike. Atme tief, immer weiter tief atmen.“
Klaus zwang das Mädchen ihm in die Augen zu sehen und machte jeden Atemzug mit ihr gemeinsam, bis sie in seinen Rhythmus eingefallen war und sich wieder beruhigt hatte. Nach einem Moment ließ er sie los.
„Du kannst es nicht kontrollieren, richtig?“
Langsam schüttelte Friederike den Kopf.
„Es überfällt mich einfach.“
„Ich könnte versuchen ein Mittel dagegen zu finden, wenn Du möchtest.“




Erstaunt musterte Friederike den Mann vor ihr.
„Du willst mir helfen? Warum?“
Klaus seufzte tief, dann trafen sich wieder ihre Blicke.
„Weil wir beide hier raus wollen. Ich helfe Dir und Du hilfst mir.“
„Du willst aus Deinem eigenen Haus raus?“
„Wie gesagt, ein Fehler“ gab Klaus zurück, peinlich berührt.
Friederike musterte ihn zunächst argwöhnisch, doch beschloss dann ihm zu glauben.
„Wie könnte ich Dir schon helfen.“
„Ich habe keine Ahnung von Computern. Friedbert hat das alles entwickelt. Du hast alles von ihm gelernt. Vielleicht kannst Du dieses verdammte Zugangssystem knacken.“
Friederike schnaubte, dann schüttelte sie den Kopf.
„Er hat mich nur das gelehrt, was sein Ego nicht gefährdet.“




Klaus hatte das zwar befürchtet, trotzdem traf Friederikes Antwort ihn hart. Hoffnung war solch ein verführerisches Ding.
„Wir versuchen es trotzdem. Ich suche ein Medikament für Deine Anfälle und Du knackst diesen Computer.“
Hoffnung keimte in Friederike auf. Hoffnung auf Hilfe. Hoffnung hier heraus zu kommen. Hoffnung auf ein normales Leben ohne Anfälle. Hoffnung ihren anderen Vater zu befreien.




„Einverstanden“ erklärte sie und hielt Klaus die Hand hin.
Der Mann erwiderte den Händedruck.
„Also abgemacht. Und nun entschuldige mich bitte, es ist spät und im Gegensatz zu Euch Beiden brauche ich ab und an Schlaf. Gute Nacht.“
Klaus schenkte ihr noch ein kleines Lächeln, dann ging er davon und überließ seine neue Verbündete wieder den Geräuschen der Nacht und den Sternen, die auf sie herunter schienen.
 

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