Freitag, 20. Dezember 2013

Teil 13 - Umstandskrämer

Vorher: Teil 12 - Noch eine Hochzeit

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Ich versuchte ein Nickerchen zu machen und mich etwas zu entspannen, soweit es mein konfuser Kopf und mein Druckgefühl im Bauch eben zuließen. Ich war nun in der zwölften Woche meiner unfreiwilligen Schwangerschaft und konnte mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen, das etwas in meinem Körper heranwuchs.


Friedbert hatte mir gerade wieder Blut abgenommen für die Tests. Ich wusste bald nicht mehr wo er mich noch pieksen wollte, ich musste ja noch genauer überwacht werden als eine Frau, da ein männlicher Körper ja nun mal nicht für eine Schwangerschaft vorgesehen ist.
Dementsprechend verstochen war ich und das machte mich nicht glücklicher.


 Ich wusste nicht ob ich Friedbert nun böse sein sollte oder nicht, natürlich war es hinterhältig mich ohne zu fragen zu schwängern.
Wäre ich eine Frau, hätte ich das ja selbst steuern können, doch als Mann kommt man ja nun nicht auf den Gedanken schwanger zu werden, wenn man Sex mit einem Mann hat!


 Doch ich ertappte mich selbst, wie ich begann mich auf das Kind zu freuen. Ich hatte mir immer Kinder gewünscht, vier Stück mindestens und mit Lara wurden es leider nur zwei. Doch ich war stolz auf meine Buben, Lars war ein eifriger Wissenschaftler und Niels würde in zwei Wochen auf den Campus ziehen und Mathematik studieren.
Und nun kam noch ein Kleines dazu, was es wohl diesmal wurde?


 Doch trotz aller aufkommender väterlichen Gefühle, oder waren es mütterliche? Also trotz Allem wollte ich schon gerne wissen wie Friedbert es angestellt hatte, das ich nun Mutterfreuden entgegen sah. Ich hatte damals in Biologie gut aufgepasst, der Sexualunterricht war schließlich die interessanteste Sparte dieses Fachs, ich wusste also wie es in mir drin aussah, oder aussehen sollte.
Also wie zum Donnerwetter hatte er es angestellt?


 Ich fragte ihn, doch er streichelte nur meine Wange und meinte ich solle mir nicht meinen hübschen Kopf zerbrechen.
Wichtig sei nur das ich und das Kind gesund seien und ich sollte mich schonen.


 Schonen! Ich langweilte mich zu Tode, arbeiten ging ich zur Zeit auch nicht, da es inzwischen besondere Regelungen für schwangere Männer hier in Strangetown gab, die besagten, das man aufgrund der schwierigeren Umstände ab der zwölften Woche schon in den Vaterschutz gehen durfte. Was war ich nun, Mutter, oder Vater?!


 Ich brauchte Klarheit. Kinder zu bekommen war etwas Wunderbares, ich erinnerte mich an Laras Schwangerschaften.
Ich betete sie geradezu an, für ihre Fähigkeit mir Kinder zu schenken und ich legte ihr, soweit ich es eben konnte, die Welt zu Füssen.
Doch ich hatte nie den Wunsch selbst Kinder austragen zu wollen, obwohl ich bei der Schwangerschaftsgymnastikgruppe Männer traf, die das gerne getan hätten.


 Aber auch wenn ich mich von einem anderen Mann vernaschen ließ, war ich immer noch ein Kerl! Und Kerle bekamen keine Kinder! Kerle machten nur welche!
Verdammt, auf was hatte ich mich da eingelassen!

 

Ich atmete tief durch um mich zu beruhigen. Ich würde Lars fragen, er musste schließlich etwas wissen, erst durch ihn hatte ich erfahren was mit mir los war. Aber woher wusste er es? Steckte er mit Friedbert unter einer Decke?
Oh Mann, wenn das der Fall war konnte er sich auf etwas gefasst machen!


 Ich wartete also ungeduldig auf meinen Sohn und sprach ihn direkt darauf an. „Lars, ich muss mit dir reden. Du bist in Friedberts Geheimniskrämerei eingeweiht, stimmt´s?“
Lars seufzte und wies auf die Couch. „Setzen wir uns.“
Aufs Äußerste gespannt sah ich meinen Sohn an und wartete auf Antworten.

 

 Einen kurzen Moment zögerte Lars, dann redete er endlich. „Ja, ich weiß Bescheid. Nach Pascals Schwangerschaft fingen wir an nach einer Möglichkeit zu forschen, wie Männer wie wir selbst Kinder bekommen können. Es soll so schwulen Paaren ermöglichen ein Kind zu haben.“
„Das ist ja alles ganz toll“ äffte ich. „Aber muss ich ausgerechnet das Versuchskaninchen für eure komischen Experimente sein?!“
 

„Das war nicht so gedacht“ erklärte Lars. „Auf jeden Fall nicht von Pascal und mir. Wir dachten Du und Friedbert hättet das abgesprochen. Er wünscht sich schon lange ein Kind und da du ja ein Familien-Typ bist...“
„...dachte er sich wohl er bräuchte nicht zu fragen“ vollendete ich den Satz.


 Lars sagte dazu nichts. Er hatte sowieso nie etwas zu Friedbert und mir gesagt, außer der Unterredung damals, als er mich fragte warum ich seine Mutter betrog. Scheinbar erwies er mir den gleichen Gefallen, den ich ihm getan hatte: mich nicht einzumischen.
Und bei ihm war das auch nicht nötig, außer das er einen Mann statt einer Frau hatte, lief sein Leben ganz normal.
Ich musste mir um ihn keine Sorgen machen, doch ich spürte, dass er sich wohl um mich sorgte, auch wenn er nichts sagte.


 „Und wie habt ihr das angestellt? Mich heimlich umoperiert?“
„Nein. Du erinnerst dich dass ich dir Von Polli Tech 9 erzählt habe? Unser grüner Nachbar?“
Klar erinnerte ich mich. Und an den Streit, den wir damals hatten. Seitdem hatte sich mein Weltbild um etliches verschoben...
Ich nickte.
„Wir arbeiten mit ihm zusammen. Er weiß wie Aliens das machen und er hat uns mit seinem Wissen und seinen Hormonen geholfen. In den Drinks, die du immer bekommen hast, sind die Hormone drin, die Aliens mit ihrem Sperma absondern, damit der männliche Sim-Körper die Spermien aufnimmt und ihn auf die Schwangerschaft vorbereitet.“


 Ich schaute ihn an wie ein Auto. „Aliens? Hormone? Kriege ich jetzt ein grünes Kind, oder was?!“
Lars lachte. „Nein, die Gene stammen von Friedbert und dir, aber da du keine Eizelle bilden kannst, macht das der manipulierte Samen nun für dich. Es ist so in etwa, als wenn du dich selbst klonst und dann mit Friedbert mischst.“
Nun kapierte ich nichts mehr. Das war mir zu viel Wissenschaft.


 Nach ein paar Schweigeminuten sprach Lars weiter. „Was wirst du nun tun?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Was soll ich denn tun? Nichts. Ich bin mit Friedbert verheiratet, erwarte nun ein Kind von meinem Ehemann, mir geht es soweit gut, was soll ich da tun?“
Nun war es an Lars die Schultern zu zucken.
„Das musst du wissen. Aber...“ Er kaute auf seiner Lippe herum. „Ich an deiner Stelle hätte Friedbert nicht geheiratet.“


 „Warum das nicht?“ fragte ich erstaunt.
„Weil er... sehr eigensinnig ist, wie du schon gemerkt hast“ antwortete Lars.
„Aber er kümmert sich so lieb um mich. Es vergeht kein Tag, an dem er mir nicht etwas mitbringt oder fragt ob ich etwas haben möchte.“
„Pascal überhäuft mich nicht mit Geschenken und trotzdem liebe ich ihn von ganzem Herzen. Wir sind eine Einheit, denken und fühlen dasselbe.“ Er grinste kurz. „Natürlich gehört auch der körperliche Aspekt dazu, doch das sollte nicht alles sein.“


 Ich dachte nach. Mein eigener Sohn gab mir nun eine Lektion in Sachen Liebe und Partnerschaft. Wie konnte nur so ein unterbelichtetes Kamel wie ich zwei überdurchschnittlich intelligente Söhne zeugen...
„Wenn du ihn so gut kennst, warum hast du nicht früher etwas gesagt?“

 

 Lars lachte kurz auf. „Hättest du denn auf mich gehört? Nein, hättest du nicht. Ich habe versucht mit dir zu reden, du erinnerst dich? Ich hatte dich gebeten deine Ehe mit Mutter zu retten, aber was tust du? Beschwer dich bitte nicht bei mir. Du bist erwachsen, du musst wissen was du tust.“
Lars ging in die Küche um das Mittagessen zu kochen und ich saß da wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum, dem man gerade erklärt hatte, das der Weihnachtsmann einen Unfall hatte und nicht vorbeikommen würde...


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Teil 12 - Noch eine Hochzeit

Vorher: Teil 11 - Laras Tagebuch

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Ich wachte mit diesem unangenehmen Gefühl im Magen auf, das mich nun seit Tagen quälte.
Doch ich spürte sofort, heute war es schlimmer als sonst und ich schwang schnell die Beine aus dem Bett, um zur Toilette zu rennen. Mein Magen rebellierte und ich spuckte seinen Inhalt aus, was nicht viel war, da ich gestern Abend vor Aufregung nichts essen konnte.


Heute war unser großer Tag, heute würden Friedbert und ich heiraten. Ich war so aufgeregt wie ein Teenie vorm ersten Mal.
Kein Wunder das ich die Spuckerei hatte, was mich nur stutzig machte war, diese Übelkeit dauert nun schon drei Wochen an und ich wusste nicht woher sie kam. Ich konnte doch nicht drei Wochen zuvor schon aufgeregt sein, oder doch?
Die Vorbereitungen liefen schließlich auch schon eine Weile, wahrscheinlich spielte mir mein Nervenkostüm mal wieder einen Streich.


 Ich brachte meine Morgentoilette hinter mich und ging in die Küche, wo mich mein Bräutigam bereits erwartete.
„Guten Morgen mein Schatz, ich habe dir heute mal einen anderen Frühstücksdrink gemacht, weil dir ja immer so schlecht ist. Der bringt dich wieder auf die Beine.“
Ich nahm meinen Saft und kippte ihn hinunter. Er schmeckte etwas komisch, aber nach ein paar Minuten ging es mir tatsächlich besser, die Übelkeit war wie weggeblasen.
 

Aber eines wunderte mich schon länger. „Sag mal Schatz, du machst mir immer so leckere Drinks, aber du trinkst nie etwas davon, wieso?“
Friedbert lächelte. „Weil ich es nicht nötig habe. Aber du bist immer so blass, da schaden Vitamine nicht.“
Zufrieden mit der Antwort und dem Gefühl einen fürsorglichen Partner zu haben, ging ich in unser Schlafzimmer und zog mich für die Zeremonie um.


 Es war soweit, alles war für die Hochzeit hergerichtet und unsere Gäste hatten Platz genommen. Auch Lutz und Lara waren gekommen.
Friedbert und ich standen nun unter dem Hochzeitsbogen und sagten uns die mir vertrauten Worte von Liebe und Treue. Und während mir die Worte über die Lippen kamen, dachte ich wieder an Lara, der ich vor vielen Jahren eben diesen Eid schwor, und ihn nicht hielt...
Doch dies sollte nun ein neuer Anfang sein, ein neues Glück. Ich hoffte sehnsüchtig dass nun alles gut werden würde.

 

 Nach der Trauung machten sich alle hungrig über das Büffet her, und ich beobachtete Lutz und Lara, wie sie glücklich miteinander turtelten.
Der Anblick zerriss mir bald das Herz und ich wendete mich ab. Ich war nun wieder verheiratet, hatte einen treusorgenden Ehemann...
Was wollte ich mehr.

 

 Plötzlich stand sie hinter mir. „Terry...“
Ich drehte mich langsam zu ihr um und sah in ihre warmen, braunen Augen.
„Ich wollte dir nur Glück wünschen. Ich hoffe das du von nun an ein erfülltes Leben führen kannst...“
Ich hörte den traurigen Unterton in ihrer Stimme und versuchte ihn zu ignorieren, was mir aber partout nicht gelingen wollte.
„Danke... Was ist mit dir... und Lutz? Seid ihr... glücklich?“


 Lara lächelte. „Wir werden auch heiraten, Terry. Lutz hat gestern um meine Hand angehalten.
Nächsten Monat fahren wir in die Südsee und heiraten dort.“
„Das ist toll“ erwiderte ich leise. Dann wünsche ich euch auch alles Gute...“
Lara umarmte mich. „Pass auf dich auf, Schmusebär.“
Dann ließ sie mich los und ging mit Lutz nach Hause.
Ich sah ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Dann kehrte ich zu meinem Ehemann und meinem neuen Leben zurück.


 Die Wochen vergingen und meine morgendliche Übelkeit hatte mich immer noch nicht verlassen. Dazu kamen neuerdings noch Bauchschmerzen und ich beschloss endlich einen Arzt aufzusuchen.
Ich war früher nie krank und hatte keinen Hausarzt, deshalb fragte ich Friedbert, der mit Pascal Schach spielte.
„Schatz, ist einer deiner Kollegen Arzt?“
Erstaunt musterte er mich. „Warum? Du bist doch nicht krank?“

  
„Ich weiß nicht. Diese Spuckerei ist nicht normal. Und dann spannt die Bauchdecke so. Ich werde mich untersuchen lassen.“
Friedbert sprang von seinem Platz auf. „Das ist nicht nötig, ich kann dich auch untersuchen. Leg dich aufs Bett, ich komme gleich.“
Ich wusste zwar nicht dass mein Mann Wissenschaftler und Arzt gleichzeitig war, aber wenn er sich drum kümmern wollte, war mir das Recht.
Ich verließ das Wohnzimmer und ging Richtung Schlafzimmer, da hörte ich wie Pascal mit seinem Bruder diskutierte.


 Neugierig ging ich ein Stück zurück und lauschte, ich konnte mehrmals meinen Namen hören.
Ich dachte Pascal hätte sich daran gewöhnt, das ich hier wohnte, warum auf einmal dieser Aufstand?
Ich verstand mich gut mit ihm, er hätte doch nur etwas sagen müssen, wenn ihm etwas nicht passte...

 

 Plötzlich war es still und ich lief schnell ins Schlafzimmer. Die Beiden mussten ja nicht mitbekommen, dass ich versucht hatte zu lauschen. Ich legte mich also auf unser Bett und keine Minute später kam Friedbert mit einer Arzttasche herein.
Er hörte mich ab, drückte auf meinem Bauch herum und nahm mir sogar Blut aus Vene und Finger ab.
Er sagte während der Untersuchung keinen Ton und ich fragte mich langsam, ob es nicht doch besser gewesen wäre zu einem niedergelassenen Arzt zu gehen...
 

 Friedbert lächelte zufrieden. „Ich schaue mir eben noch schnell das Blut an. Warte bitte kurz.“
Perplex sah ich ihm nach. Was wurde das jetzt? Konnte er mir nicht sagen was los war?
Doch er tauchte tatsächlich nach ein paar Minuten wieder auf.
„Es ist alles in Ordnung, Schatz. Du bist nur etwas... überspannt. Ruh dich aus, ich bringe dir gleich etwas zu essen.“


 Überspannt? Ich glaubte eher Friedbert war übergeschnappt! Wie konnte alles in Ordnung mit mir sein, wenn ich mir die Seele aus dem Leib kotzte? Die Tür zum Schlafzimmer öffnete sich und Lars kam herein.
„Hey Dad. Wie fühlst du dich?“
„Hey Großer. Beschissen. Aber Friedbert meint es wäre alles in Ordnung.“
Lars nickte. „Ehrlich, ich hätte nie gedacht dass du es tun würdest...“ sagte Lars. „Aber du bist ja der Typ dafür und da ihr beide Männer seid...“
 

„Von was redest du?“ fragte ich meinen Sohn irritiert. „Was tue ich?“
Nun war es an Lars irritiert zu sein.
„Von was ich rede? Von deiner Schwangerschaft natürlich...“
Ich fühlte mich als hätte Lars mir eine Ohrfeige verpasst und ich wünschte er hätte es getan.
„Wie?“
„Du weißt nicht dass du schwanger bist? Ok, wenn du...“ Er hob entschuldigend die Hände.
„Ich glaube du fragst besser deinen Ehemann dazu.“ Dann verschwand er.

 

 Ich lag auf meinem Bett und fiel mental in ein tiefes, tiefes Loch. Schwanger. Ich war ein Mann. Ich konnte nicht schwanger werden, es sei denn wie Pascal...
Aber ich war kein Alien-Junkie.
Doch Friedbert arbeitete mit Pascal zusammen und vielleicht...
Ich schlug entsetzt die Hände auf mein Gesicht. Oh nein. Dieser Wahnsinnige hatte mich ohne mein Einverständnis geschwängert. Ich, ein Mann, erwartete ein Kind...

 

Wut stieg in mir auf. Ich stand auf und wollte hinter meinem Ehemann herlaufen, ihn zur Rede stellen. Ich wollte durch die Tür stürmen, da ging sie vor meiner Nase auf und ein strahlender Friedbert stand vor mir.
„Oh, schon wieder auf den Beinen?“
„Was hast du mit mir gemacht? Sag’s mir!“
„Hehe, Süßer, beruhige dich wieder!“
„Ich soll mich beruhigen? Du hast mich ohne mein Einverständnis geschwängert! Du, du hast mich benutzt, missbraucht!“

 

„Na na, missbraucht wohl weniger. Es hat dir immer gefallen, so wie du dich aufgeführt hast“ verteidigte sich Friedbert grinsend.
Sein Grinsen versetzte mich noch mehr in Wut. „Ja sicher, aber ich bin doch kein Versuchskaninchen, ich schlafe mit dir weil ich dich liebe!“
Friedbert nahm mich in den Arm. „Nun beruhige dich wieder. Ich liebe dich doch auch,
oder glaubst du ich lasse meinen wertvollen Samen von jemand X-beliebigen austragen?“

 

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Teil 11 - Laras Tagebuch

Vorher: Teil 10 - Ende und Anfang

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Niels räumte das Haus auf, während seine Mutter einkaufen war. Seit sein Vater ausgezogen war, musste er sich nun mehr am Haushalt beteiligen, doch das machte ihm nichts aus.
Das Haus war ja nicht groß und seine Bewohner nicht die Unordentlichsten. Was ihn wirklich störte, war schlicht der Umstand das sein Vater nicht mehr da war.


Niels war wütend und verwirrt. Er fühlte sich verraten und verlassen, und auch wenn sein Vater fast täglich anrief, konnte er ihm nicht verzeihen, und noch weniger verstehen.
Er dachte immer dass seine Eltern sich lieben würden, und konnte sich niemals vorstellen, dass so etwas passieren würde.


 Und zu allem Übel hatte seine Mutter nun auch noch einen Neuen. Der Kerl schien zwar ganz nett zu sein, aber er hatte jetzt einfach keinen Bock auf einen anderen Typen und das würde er seiner Mutter auch sagen!

 

Seufzend hob Niels ein liegen gebliebenes Buch auf und wollte es zurück ins Bücherregal stellen, als er unter dem Regal etwas liegen sah. Es war ein kleines Buch, das den Eindruck machte, als hätte es jemand mit Absicht unter das Regal geschoben. Niels fischte es heraus und öffnete es.
Er las die erste Seite und machte große Augen. Es war das Tagebuch seiner Mutter. Schnell sah Niels auf die Uhr.
Seine Mutter war noch nicht allzu lange fort, also könnte er ja ein bisschen darin stöbern...


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Erster Eintrag

Oh Gott, ich war ein Mädchen, als ich das letzte Mal hier rein geschrieben habe, und ich hätte nie gedacht, das ich es eines Tages wieder tun würde...
Doch wenn ich mich niemanden anvertrauen kann, werde ich noch verrückt.
 

Er ist weg, er hat seine Sachen mitgenommen und ist gegangen. Ich habe ihm gesagt dass er gehen soll, ich konnte ihn einfach nicht mehr ansehen, es tat so weh...
Ich frage mich wirklich wie es soweit kommen konnte, ich frage mich was wir falsch gemacht haben.
Wir haben uns doch so geliebt! Verdammt, ICH hatte ihn so geliebt...


 Ich erinnere mich noch als wäre es erst gestern gewesen, als ich ihn getroffen habe, damals in dieser blödsinnigen Kneipe, in die mich meine und seine Freunde geschleppt haben, wo wir beide auch Kneipen so mögen!
Wie er mich unsicher angegrinst hat, er hatte damals schon seine Piercings und ich dachte ‚Was ein komischer Typ’.


 Und dann fragte er mich ob wir nicht aus der stickigen Bude verschwinden und lieber im Park spazieren gehen wollten.
Ich kannte ihn ja gar nicht, aber er lächelte mich mit seinen Teddy-Augen an und ich ging mit.


 Er nahm meine Hand und wir gingen spazieren, einfach nur spazieren, er versuchte nicht mich dumm anzumachen oder gar mehr, nein, er hielt einfach nur meine Hand...

 

 Ich gab ihm meine Telefonnummer, den Rest kannst du dir denken. Ich glaube ich liebte ihn seit dem Augenblick, als er den Fetzen Papier mit meiner Nummer entgegennahm und mich glücklich anlächelte.
Gütiger Wächter, er war der Mann meiner Träume, lieb, zärtlich verständnisvoll. Er war kein Held und auch kein Traumboy, auch hatte er nicht den dollen Job, wie ihn die anderen hatten, aber hey, auch ich verdiente und es reichte für uns und wir waren einfach glücklich.


 Auch später mit den Kindern, wir waren eine glückliche Familie, warum bedeutet das auf einmal nichts mehr?
Warum hat er das getan? Haben wir ihn gelangweilt? Habe ich ihn gelangweilt? Bin ich ihm zu alt geworden?
Oder hat uns einfach nur der Alltag gezeigt, wie zerstörerisch er sein kann? Ich habe keine Antwort...


 Zweiter Eintrag

Lars hat heute angerufen und erzählt dass Terry nun bei ihnen wohnt, er ist also tatsächlich sofort bei ihm eingezogen...
Nun weiß ich ja dass er mich nicht mehr liebt, er hat mich also auch noch angelogen, als wir hier geredet haben.
Es täte ihm leid hat er gesagt, eine eiskalte Lüge...
Warum bist du dann sofort zu ihm gegangen? Wie konntest du mir so etwas nur antun...

 

 Wenigsten scheint es Lars dort oben gut zu gehen. Ich weiß, ich war mit dieser Verbindung nicht einverstanden, vielleicht haben mich meine Eltern doch zu konservativ erzogen, doch Lars ist glücklich mit diesem Mann.
Aber durch ihn hat Terry diesen Typen da kennen gelernt, oh Wächter, warum nur muss Lars Männer lieben...
Dann wäre das alles nicht passiert.

 

 Dritter Eintrag

Es ist nun schon sechs Wochen her und es geht mir immer noch schlecht, ich habe nächtelang nicht geschlafen, immer wieder wache ich auf und merke, dass der Platz neben mir im Bett leer ist.
Mein Chef hat mich heute ganz schief angesehen, als er mein ständiges Gähnen bemerkte. Verdammt, ich bin froh wenn dieses blöde Projekt fertig ist, dann bekomme ich endlich die Beförderung und es kehrt wieder Ruhe ein.


 Die blöde Arbeiterei, ich sehe meinen Sohn kaum noch, bin müde und gereizt. Und dann auch noch das mit Terry – ist er deswegen fremdgegangen?
Weil ich für uns arbeiten gehe? Ich schufte und schufte, damit Geld reinkommt, damit Niels aufs College kann...
Terry schaffte es ja nicht in seinem Job weiterzukommen, seine Arbeit macht ihm Spaß, aber es reicht einfach nicht, was dabei rüber kommt...
 

Ist es da so falsch das ich versuche etwas mehr Geld in die Kasse zu bekommen?
Terry fehlte jeglicher Ehrgeiz etwas zu bewegen in seinem Leben...
Ach Terry, das Leben besteht nicht nur aus Kuscheln und Tagträumen,
von irgendwas möchte dein Sohn auch sein Studium bezahlt haben...

 

 Vierter Eintrag

Heute kam Lutz Kurios zum Plaudern vorbei – ich war mir erst nicht sicher ob ich ihn reinlassen soll, schließlich gehört er zu den Brüdern, die mir mein Leben versaut haben, doch ich wollte nicht unhöflich sein.
Er war es schließlich, der sich so nett um mich gekümmert hat, nachdem ich mit ansehen musste, was mein Mann so treibt...
 

Wir haben uns gut unterhalten und zugegeben, er ist nett. Ich war überrascht als er mir erzählte dass er ausgezogen sei, aber ich kann ihn verstehen, wenn er sich als fünftes Rad am Wagen fühlt.
Stell dir vor, er hat sich bei mir entschuldigt, dass er Terry nach Hause geschickt hat um mit mir zu reden... Nicht mein Sohn hat ihn geschickt, oder das gar Terry von sich aus gekommen sei...
Nein, ein Fremder versuchte meine Ehe zu retten...
Mein Gott, muss ich eine schlechte Ehefrau und Mutter sein.

 

 Fünfter Eintrag

Ich weiß, ich habe schon lange nicht mehr geschrieben, aber es war soviel los. Die Zeit vergeht wie im Flug, Lars Hochzeit ist nun schon ein paar Monate her und ich habe nichts mehr von Terry gehört. Er muss mich wirklich hassen...
Unsere Anwälte haben das Finanzielle geregelt und nun warte ich nur noch auf den Scheidungstermin.
Ich bin wirklich froh, wenn alles vorbei ist.
 

 Zum Glück ist Lutz für mich da, irgendwie schafft er es immer mich aufzuheitern, es ist fast als kenne er keine Sorgen.
Vielleicht sollte ich mir an ihm ein Beispiel nehmen und nicht soviel grübeln. Er ist wirklich ein lieber Kerl, ich gebe zu ich mag ihn.
Er hat mich zum Tanzen eingeladen, ich weiß nicht ob ich hingehen soll, irgendwie habe ich das Gefühl das es ein Date wird und er ist jünger als ich...
Andererseits, Terry hat auch einen Jüngeren...


 Sechster Eintrag

Nun weiß ich gar nicht mehr was ich machen soll... ich war gestern mit ihm aus...
Und wir waren Tanzen, er kann so gut tanzen...

 

 Und es hat sich so gut angefühlt, ER hat sich so gut angefühlt... und zum Schluss hat er mich noch geküsst...
Oh verdammt, ich glaube, ich habe mich verliebt.


 Siebter Eintrag

Ich werde heute das letzte Mal schreiben, denn ich habe beschlossen nun einen Schlussstrich zu ziehen.
Ich habe heute Terry in der Mall getroffen und wir haben uns unterhalten, nach all den Monaten haben wir wieder miteinander gesprochen...
Er hat mir gesagt warum er fremdgegangen ist und ich verstehe ihn jetzt auch ein bisschen.
Er hat mich gebeten es noch mal mit ihm zu versuchen, ich dachte er liebt diesen Kerl? Warum hat er dann nicht früher versucht mit mir zu reden? Warum, warum nur Terry?
Jetzt ist es zu spät, es ist zuviel passiert, es ist zu lange her...
 

 Morgen ist unser Scheidungstermin, warum hast du so lange gewartet? Verdammt, ich glaube ich liebe diesen Mistkerl immer noch, ich werde ihn wohl immer lieben... Aber ich kann nicht mehr. Unsere Wege haben sich getrennt, wir haben beide jemand anderen und ich bin glücklich mit Lutz.
Ich werde dieses Kapitel jetzt endgültig schließen. Ich möchte jetzt einfach nur noch ein normales, zufriedenes Leben führen.


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Niels klappte das Tagebuch zu und grübelte. War es wirklich so schwierig erwachsen zu sein?
Waren alle Erwachsenen so in ihren Gefühlen gefangen, das sie alles falsch machten?
Für was wurde man dann eigentlich erwachsen?
 

 Niels legte das Buch an seinen Platz zurück und ging nach draußen, wo seine Gitarre und das Schlagzeug seines Vaters standen.
Er schaltete den Verstärker ein und hängte sich seine Gitarre um. Er spielte seinen Lieblingssong, bei dem ihn sein Vater immer begleitet hatte.
Niels erinnerte sich, dass Lara erwähnte Lutz spiele auch sehr gut Schlagzeug...
Vielleicht hatte er ja mal Bock auf eine Session.


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