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Jenny Schmidt schlug das Fotoalbum zu,
in dem sie sich die alten Bilder aus ihrer Jugendzeit betrachtet
hatte. Sie genoss es dann und wann in alten Erinnerungen zu
schwelgen, in den schönen, sowie auch in den weniger schönen, die
ebenso zu ihrer Jugend gehörten, wie das Salz in die Suppe.
Jenny hatte
schon früh erfahren was es hieß Pflichten zu übernehmen, für
andere sorgen zu müssen, sich um die jüngeren Geschwister zu
kümmern, weil die Eltern fehlten.
Georg und Kathy Kurios bekamen Jenny,
die einzige Tochter recht früh, die drei Söhne aber erst recht
spät, so dass der Altersunterschied zwischen den Kindern sehr groß
war und die Eltern schon verstarben, als die Jungs noch im
Teenageralter waren. Jenny, als die Älteste, kümmerte sich um ihre
jüngeren Brüder, bis zumindest Friedbert erwachsen war, dann
heiratete sie ihre große Liebe Polli Tech #9 und zog mit ihm in ein
eigenes Haus im Tal.
Jenny war
sich sicher alles Erdenkliche für ihre Brüder getan zu haben, um
ihnen einen guten Start ins Erwachsenenalter geben zu können. Doch
sie war eben nur die Schwester und nicht Mutter und Vater, deren
Verlust gerade den ältesten Bruder sehr hart getroffen hatte,
Friedbert nämlich, der seitdem nicht mehr derselbe war.
Jenny erinnerte sich an ihn als Kind,
er war zwar schon immer eher ernster und pragmatischer, doch er nahm
immer am allgemeinen Familienleben teil, war zugänglich und
freundlich. Aber seit die Eltern unter der Erde lagen, erkannte Jenny
ihren Lieblingsbruder nicht mehr wieder.
Jenny machte
sich große Sorgen um ihn, sie konnte über all die Jahre beobachten,
wie er sich immer mehr zurückzog, nur noch in seinen Studien versank
und jeglichen sozialen Kontakt mied. Von Friedberts zurückhaltender,
aber liebevoller Seele war nichts mehr da, er war kalt und berechnend
geworden und Jenny fragte sich warum. Als Friedbert Terry geheiratet
hatte, meinte sie noch einen Funken seines alten Selbst gesehen zu
haben und sie hoffte, das Terry mit seiner sanften Art ihrem Bruder
wieder auf die Sprünge helfen würde, doch sie hatte sich geirrt.
Ihr Bruder
wurde schlimmer denn je, nutzte jeden Sim, der ihm in die Quere kam,
schamlos aus. Vielleicht wäre es besser geworden, wenn Friedbert
einen Partner gehabt hätte, der ihm ebenbürtig war, der ihm Kontra
gab und ihm zeigte wie der Hase lief, doch Terry konnte es nicht, er
hatte nicht den Biss dazu. Jenny fühlte schon lange, das die beiden
Männer nicht miteinander glücklich waren und als sie ihren Schwager
gestern mit seiner Exfrau zusammen im Park gesehen hatte, hatte sie
Gewissheit. Jenny fühlte sich nun hin- und her gerissen. Einmal war
sie wütend auf Terry, der sich offensichtlich wieder zu Lara
hingezogen fühlte, die verständlicherweise auch wieder etwas Wärme
suchte, nachdem Lutz so früh verstorben war, doch andererseits
verstand sie ihn sehr gut, wenn sie daran dachte, das Friedbert sich
nicht um ihn und seine Tochter kümmerte.
Würde Polli sie so behandeln, hätte
sie sich schon längst scheiden lassen.
Jenny
seufzte und griff entschlossen zum Telefon. Sie wählte die Nummer
von Friedberts Labor, zu Hause würde sie ihn wahrscheinlich sowieso
nicht erreichen. Nach mehrmaligem Klingeln nahm endlich jemand ab und
eine unfreundliche Stimme brummte den Namen Kurios in den Hörer.
„Hallo Bruderherz“ meldete Jenny
sich.
„Jenny“ gab Friedbert ungehalten
zurück. „Was willst Du? Ich bin gerade…“
„Du wirst dir für deine Schwester
mal ein wenig Zeit nehmen, kleiner Bruder“ fuhr sie Friedbert
wütend an. „Ich möchte mit dir reden, jetzt gleich.“
Jennys
Tonfall ließ keine Wiederworte zu und so fuhr Friedbert
augenblicklich zu seiner Schwester, die ihn trotz des harschen Tones
am Telefon liebevoll begrüßte.
„Komm her, mein Lieber. Ich bekomme
dich ja kaum zu Gesicht. Wie geht es dir denn?“
Friedbert nahm auf der Couch Platz.
„Sehr gut, danke. Das Projekt läuft sehr gut, ich bin mit den
Ergebnissen sehr zufrieden. Ich konnte jetzt noch den Geschmack
verbessern, so trinkt es sich angenehmer.“
„Du trinkst das Zeug doch nicht etwa
selbst“ argwöhnte Jenny und betrachtete ihren Bruder von Kopf bis
Fuß.
„Sicher“ antwortete Friedbert mit
einem Schulterzucken. „Ich lasse mir nicht mehr in die Karten
schauen. Als Pascal meine Daten zerstörte, habe ich eines gelernt:
niemandem zu vertrauen.“
„Mag sein“
gab Jenny zurück. „Doch was ist mit den Nebenwirkungen? Am Ende
vergiftest du dich noch selbst!“
„Ich trinke das Zeug schon so lange
und sie mich an! Es hat die gewünschte Wirkung, maximale geistige
und körperliche Fitness, ohne sich beim Sport zu quälen, lernen mit
Leichtigkeit! Das Mittel wirkt geradezu fantastisch bei Kindern, sieh
dir doch Friederike an! Sie ist perfekt, so perfekt wie ein Kind nur
sein kann, sie ist mein Werk, meine Erbin!“
Jenny sah Friedbert entsetzt an,
beobachtete, wie sein Blick in die Ferne entschwunden war, mit einem
Glitzern in den Augen, das sie an Wahnsinn erinnerte.
Jenny wusste
nichts mehr dazu zu sagen. Sie spürte, dass ihr Bruder sich in eine
Richtung entwickelt hatte, aus der es für ihn keine Wiederkehr mehr
gab. Doch sie war seine Schwester und sie wollte, dass er glücklich
war, dass seine Tochter glücklich wurde.
„Weißt du Friedbert, du solltest dir
ab und an mal eine Pause gönnen. Deine Tochter vermisst dich, sie
sollte nicht nur lernen, sie sollte ab und an mal mit ihren Eltern
etwas unternehmen, das würde auch dir gut tun.“
Friedbert winkte ab. „Sie ist
glücklich. Sie lernt, was kann glücklicher machen. Außerdem ist
Terry da um mit ihr zu spielen.“
„Das ist
der nächste Punkt, mein Lieber. Auch Terry ist nicht glücklich, du
kümmerst dich kaum um ihn…“
Friedbert schnitt seiner Schwester das
Wort ab. „Terry hat alles was er braucht! Mach dir da mal keine
Sorgen!“
„Ach ja?!“ gab Jenny nun sichtlich
erbost zurück. „Wenn er so glücklich mit dir wäre, warum sehe
ich ihn dann mit Lara im Park?“
Friedbert starrte Jenny mit offenem
Mund an. „Wie…“
„Ja, Terry scheint sich wieder öfter
mit ihr zu treffen, sie wirkten sehr vertraut!“
„Naja“ gab Friedbert unwirsch
zurück, „sie waren ja lange verheiratet…“
Jenny schüttelte den Kopf. „Nicht
so, du Schaf, er hat sie geküsst! Ich habe sie gestern Abend in der
Downtown gesehen!“
Friedbert
starrte auf seine Hände, sagte aber nichts. Jenny versuchte ihrem
Bruder in die Augen zu sehen, doch Friedbert drehte den Kopf weg.
„Was ist nur los mit dir? Du bist
eiskalt, igelst dich ein. Du hast dich so verändert. Arbeit und
Wissen ist nicht alles, es gehört auch Liebe, Wärme und Glück
dazu. Und dafür muss man arbeiten, nicht nur für
Forschungsergebnisse. Mich wundert nicht, dass Terry sich das
woanders sucht, wenn er das bei dir nicht findet. Und ich glaube
schon, das er es bei dir gesucht hat.“
Jenny legte eine Hand auf Friedberts
Arm. „Kümmere dich besser mal um deine Familie. Sonst hast du bald
keine mehr.“
Friedbert
nickte und stand auf. „Werde ich, verlass´ dich drauf. Ich danke
dir, Schwesterchen.“
Jenny lächelte und umarmte ihren
Bruder. „Du wirst das schon wieder hinbiegen, das weiß ich.“
Friedbert nickte und verließ Jennys
Haus mit eiligen Schritten. Kaum war die Haustür ins Schloss
gefallen, erstarb Jennys Lächeln. Irgendwie war sie plötzlich der
Meinung, es wäre besser gewesen, sie hätte sich nicht eingemischt.
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