Samstag, 4. Januar 2014

Teil 26 - Niete

Vorher: Teil 25 - Wünsche

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 „Sirius, komm endlich! Der Bus wartet!“
Verdammt, jeden Morgen dasselbe mit dem Jungen. Kaum war er aufgestanden, hing er am Computer, schrieb irgendwas, chattete oder, was am Schlimmsten war, er spielte irgendwelche Computerspiele und vergaß darüber die Zeit.


Ich hörte den Schulbus zum wiederholten Male hupen. Wütend ging ich in Sirius Zimmer. „So junger Mann, es reicht! Wie oft soll ich dich noch rufen? Sofort ab in die Schule, sonst werde ich deinem Vater sagen müssen, das ich den blöden Kasten in die Mülltonne geworfen habe!“


 Entsetzt sah mich Sirius an, unsicher ob ich es ernst meinte oder nicht. Dann schaltete er den Rechner aus und rannte an mir vorbei, nach draußen.
„Nicht nötig Opa! Hab dich lieb!“
Ich murmelte grinsend ein „Ich dich auch“.
Hören konnte er es eh nicht mehr, Sirius war mit seinen langen Beinen schon zum Bus unterwegs und fuhr in die Privatschule für Hochbegabte, die er seit diesem Sommer besuchte. Er wusste genau, wie er mich einwickeln konnte, der kleine Schlawiner.


 Ich war sehr stolz auf meinen Stiefenkel. Er war ein gerissener, kleiner Fuchs, lernbegierig und hochintelligent. Seine Aliengene ließen ihn schneller wachsen und reifen, sein Lernvermögen lag weit über dem normaler Kinder. So wie bei meiner Tochter Friederike, die diese Phänomene dank der Alienhormone während der Schwangerschaft und Friedberts Super-Milch ebenfalls zeigte.
Aber im Gegensatz zu Friederike, hatte Sirius ein Herz aus Gold, wie sein Vater Pascal. Friederike dagegen, schien nicht meinen Charakter geerbt zu haben.


Da saß sie, meine Tochter, die mit ihren vier Jahren wie eine Siebenjährige wirkte. Sie schien mich nicht zu bemerken und tat mal wieder das, was sie am liebsten tat, außer unsere Bibliothek auswendig zu lernen: Dinge zerstören oder Ricky ärgern. Diesmal ließ sie ihre überschüssige Energie an ihrem Puppenhaus aus. Der Hund hielt schon Abstand von ihr.


„Friederike, hör sofort auf damit!“ tobte ich vor ihr herum und versuchte sie von ihrem zerstörerischen Tun abzuhalten.
„Weist Du eigentlich wie teuer das Häuschen war, das dir Onkel Pascal geschenkt hat? Dafür könnte man auch…“
„Versuch mir ja nicht vorzurechnen, was ich für wie viel bekommen könnte!“ erwiderte Friederike patzig.
„Du weißt ja nicht mal was das Pascalsche Dreieck ist, wenn wir schon von meinem Onkel reden! Und so eine mathematische Niete wie du will mir erzählen wie teuer so ein Holzding ist?!“


 Friederike lief aus dem Raum und ließ mich sprachlos zurück.
Mathematische Niete. Ich war Mechaniker verdammt, hatte Feinwerktechnik studiert! Ich KONNTE rechnen! Was bildete sich dieses kleine, verzogene Gör ein…

Zutiefst enttäuscht und traurig setzte ich mich auf die Couch und grübelte. Ich konnte mich nicht erinnern solche Probleme mit den Jungs damals gehabt zu haben, warum entwickelte sich Friederike so? Warum war sie so aggressiv? Ich sollte wohl mal einen Spezialisten um Rat fragen, doch mit diesem Monsterkind konnte ich ja nicht zu einem normalen Kinderarzt fahren, der glaubte mir doch nie, dass sie erst vier war!


 Ich wusste nicht was ich tun sollte. Es war nicht das große Thema mich zeitweise um vier Kinder zu kümmern, die Zwillinge wurden weitgehendst von ihren Vätern versorgt, die entgegen ihrer Pläne bei uns wohnen geblieben waren, weil sie sonst Probleme mit der Versorgung der Kinder bekommen hätten und sich die Miete für eine entsprechende Wohnung und den Lohn für die Nanny nicht leisten konnten.

Zum Glück war Sirius unproblematisch. Aber Friederike bereitete mir große Sorgen. Nicht nur das sie unnatürlich weit entwickelt war, sie hatte einen geradezu bösartigen Charakter. Ich versuchte sie zur Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft zu erziehen, hatte aber keinen Erfolg damit.


Als Lars am Nachmittag nach Hause kam, sah er sofort dass mit mir etwas nicht stimmte. Er sah mich schief an, sagte jedoch nichts und kümmerte sich erst mal um seine Söhne, während ich unser Abendessen vorbereitete. Nachdem wir gegessen hatten, die Zwillinge in ihren Bettchen schlummerten und die größeren Kinder sich noch ein wenig die Zeit vertrieben, ehe sie ins Bett mussten, nahm mich mein Sohn auf die Seite.

„Du siehst nicht gut aus, Dad. Was ist los? Ärger mit den Kindern?“
Ich seufzte und spielte mit meinen Fingern. „Es geht schon, danke.“
Lars schüttelte leicht belustigt den Kopf. „Mach mir nichts vor, Vater. Ich weiß was mit meiner lieben Halbschwester los ist. Und ich weiß wie du dich fühlen musst. Ich würde mich auch so fühlen, wenn Pascal mich so behandeln würde, wie dein „Ehemann“ das tut. Ich soll dich übrigens von ihm grüßen und dir ausrichten, das er morgen vorbeischaut.“


Lars sprach das Wort „Ehemann“ sehr ironisch aus. Und er hatte damit ja vollkommen Recht, das war keine Ehe, die wir führten. Die existierte nur auf dem Papier und ein goldener Reif um meinen linken Mittelfinger erinnerte daran, das es dazu auch ein Gegenstück gab, besser gesagt, geben sollte. Denn wie in einer Partnerschaft fühlte ich mich schon lange nicht mehr.

„Danke“ antwortete ich tonlos. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich drüber freuen sollte, eigentlich war es mir inzwischen egal. Und wenn ich ganz ehrlich war, hielt ich diese „Ehe“, dieses Leben nur noch aufrecht, weil ich Friederike nicht aufgeben wollte. Denn merkwürdigerweise, obwohl sie ihn ja auch kaum zu Gesicht bekam, hing sie sehr an ihrem Vater. Oder war es gerade weil sie ihn kaum zu Gesicht bekam? Oder war es diese Seelenverwandtschaft, die die Beiden zu verbinden schien?
 

Wie auch immer, ich wollte ihr den Vater nicht nehmen. Und was noch wichtiger war, ich war wild entschlossen sie zu einem anständigen Sim zu erziehen. Ich gab die Hoffnung nicht auf, ihre negativen Energien in die richtigen Bahnen lenken zu können. Und das ging nur in einem intakten Elternhaus, auch wenn der andere Elternteil viel arbeitete.

Wir schwiegen uns eine Weil an, dann meinte Lars: „Warum gehst du nicht wieder arbeiten? Du musst hier raus, du brauchst etwas anderes als Kinder in deinem Leben. Dir hat dein Job doch immer Spaß gemacht, ich erinnere mich gut, als du uns Kinder mal mitgenommen hattest, wie stolz du uns deine Maschinen gezeigt hast. Fehlt dir das denn nicht?“


 Wieder seufzte ich. Lars hatte einen wunden Punkt bei mir getroffen. Ich liebte meine Arbeit und ich vermisste meine Maschinen, sowie meine Kollegen, mit denen man über alles klönen konnte und immer mal ein Späßchen drin war. Lars hatte Recht. Sie fehlten mir.
„Ich würde sehr gerne wieder arbeiten gehen“ antwortete ich frustriert. „Aber meinst du die nehmen mich wieder? Ich bin doch jetzt ein paar Jahre raus… Und was wird mit den Kindern? Wer soll auf die aufpassen?“

„Ah, was sind denn die viereinhalb Jahre! Du bist schließlich nicht irgendein Mechaniker gewesen, du warst für die wichtigsten Teile der Zeitmaschinen verantwortlich! Und vergessen hast du ja wohl nichts! Dein Chef nimmt dich mit Kusshand! Und um die Kinder mach dir keine Sorgen. Ich würde Friederike auf Sirius Schule in der Vorschule anmelden, dann ist sie beschäftigt und für die Zwillinge holen wir eine Nanny, wenn Pascal und ich gleichzeitig arbeiten müssen. Die Kosten für die Schule übernimmt Friedbert sowieso und die Nanny schaffen Pascal und ich schon. Hier müssen wir ja keine Miete zahlen.“
 

Ich dachte über Lars Vorschlag nach und je mehr ich das tat, umso mehr gefiel mir die Vorstellung. Ich würde endlich wieder mal hier raus kommen, weg vom Kinder hüten, so sehr ich sie auch liebte, weg von der Alltagstristesse. Ich könnte endlich wieder etwas Produktives tun, könnte endlich wieder zeigen, was ich drauf hatte. Und so klemmte ich mich ans Telefon und leitete ein paar Dinge in die Wege. Friederike bekam schnell einen Platz in der Vorschule, der Nachname öffnete in diesem Bereich schon alle Türen. Nun musste ich nur noch meinen Chef überzeugen.


Und ich hatte wieder Glück! Mein Chef Patrick war schlichtweg begeistert, dass ich wieder zurückkommen wollte und sagte mir direkt am Telefon meinen alten Job zu! Ich hängte den Hörer ein und schwebte im siebten Himmel. Ich konnte es kaum fassen, ich würde wieder arbeiten gehen! Mit einem Freudenschrei lief ich durch Haus und Ricky rannte mir begeistert kläffend hinterher, als er merkte, dass sein Herrchen überglücklich war. Von wegen Niete! In diesem Augenblick fühlte ich mich, als könnte ich die Welt aus den Angeln heben!
 

Am nächsten Tag erzählte ich Friedbert von meinem Vorhaben. Er starrte mich zunächst mit offenem Mund an, als ich ihn vor die vollendeten Tatsachen stellte und ich fürchtete fast, das er wieder wütend werden könnte, weil ich ihn wegen Friederike nicht gefragt hatte, doch dann schien ihm der Gedanke zu gefallen, das sein überaus und ungewöhnlich kluges Mädchen den Erziehern und anderen Kindern zeigen konnte, was sie schon alles konnte.
Ich war sicher, Friederike würde sich ganz schnell „einen Platz in den Herzen“ ihrer neuen Bekannten sichern.
 

Friedbert blieb bis zum nächsten Morgen, dann verschwand er wieder. Ich fragte gar nicht was ihn mal wieder davon trieb und welchem „Experiment“ er sich widmete, es war mir egal ob er wirklich in seiner Arbeit ertrank, oder ob sein Experiment simlischer Natur war. Er ließ mich in Ruhe, so tat es mir nicht zu sehr weh, als ich mal wieder neben einer leeren Bettseite aufwachte. Ich ertrug dieses Wechselspiel aus zärtlichen Liebesakten und kalter Ablehnung nicht mehr.


Nachdem ich den Tag wie immer mit den Kindern verbracht hatte, legte ich mich am Abend draußen in den warmen Sand vor unser Haus. Ich schaute in die Sterne und ließ meine Gedanken schweifen. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte dort hinauf, weit, weit weg von Allem…
Manchmal machte man sich solche Gedanken und man wusste genau, dass man es in Wirklichkeit nie tun würde, auch wenn man die Gelegenheit dazu hätte. Was müsste ich dann alles aufgeben… Einen eiskalten Ehemann, aber auch meine Kinder, meinen Bruder, von dem ich seit seinem Besuch nichts mehr gehört hatte und um den ich mich auch sorgte…
Und Lara.


Ich telefonierte inzwischen oft mit ihr, machte mir auch Sorgen um sie. Sie war alleine, seit Lutz so plötzlich starb. Sie sagte mir einmal, dass sie zwei wunderbare Männer verloren hatte und das nicht noch einmal erleben wollte, so ließ sie niemanden mehr an sich heran. Diese Aussage tat mir weh, denn ich wusste was sie meinte und ich fühlte mich schuldiger als je zuvor. Ich war an ihrer Einsamkeit und an ihrem Schmerz schuld und ich konnte das nie wieder gut machen.


 Ich hatte auch heute wieder mit ihr telefoniert, hatte ihr erzählt, dass ich wieder arbeiten gehen wollte und sie freute sich für mich und sagte mir, dass dies ein sehr positiver Schritt sei. Ich vermutete Lars unterhielt sich ab und zu mit ihr über mich, was mir zwar unangenehm war, doch ich konnte es ihm nicht verbieten. Andererseits war es ein schönes Gefühl, das Lara sich scheinbar ebenso um mich zu sorgen schien, wie ich mich um sie…


 Lara war nun einsam nachdem Lutz sie verlassen hatten und ich war einsam im Herzen. Ich sehnte mich so sehr nach Wärme und Zuneigung - und nach dem alten Leben, das ich mit Lara hatte und nur für den Kick wegwarf. Mein Herz krampfte sich zusammen und Tränen brannten in meinen Augen. Ich vermisste sie und jedes Mal, wenn ich an sie dachte, wurde mir immer schmerzlicher bewusst, das ich sie immer noch liebte, nach allem was war, nach all der Zeit…
Ich liebte sie von ganzem Herzen und ich wusste, irgendwann würde ich an meiner Liebe zu Grunde gehen…


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