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„Sirius, komm endlich! Der Bus
wartet!“
Verdammt, jeden Morgen dasselbe mit dem
Jungen. Kaum war er aufgestanden, hing er am Computer, schrieb
irgendwas, chattete oder, was am Schlimmsten war, er spielte
irgendwelche Computerspiele und vergaß darüber die Zeit.
Ich hörte
den Schulbus zum wiederholten Male hupen. Wütend ging ich in Sirius
Zimmer. „So junger Mann, es reicht! Wie oft soll ich dich noch
rufen? Sofort ab in die Schule, sonst werde ich deinem Vater sagen
müssen, das ich den blöden Kasten in die Mülltonne geworfen habe!“
Entsetzt sah
mich Sirius an, unsicher ob ich es ernst meinte oder nicht. Dann
schaltete er den Rechner aus und rannte an mir vorbei, nach draußen.
„Nicht nötig Opa! Hab dich lieb!“
Ich murmelte grinsend ein „Ich dich
auch“.
Hören konnte er es eh nicht mehr,
Sirius war mit seinen langen Beinen schon zum Bus unterwegs und fuhr
in die Privatschule für Hochbegabte, die er seit diesem Sommer
besuchte. Er wusste genau, wie er mich einwickeln konnte, der kleine
Schlawiner.
Ich war sehr
stolz auf meinen Stiefenkel. Er war ein gerissener, kleiner Fuchs,
lernbegierig und hochintelligent. Seine Aliengene ließen ihn
schneller wachsen und reifen, sein Lernvermögen lag weit über dem
normaler Kinder. So wie bei meiner Tochter Friederike, die diese
Phänomene dank der Alienhormone während der Schwangerschaft und
Friedberts Super-Milch ebenfalls zeigte.
Aber im Gegensatz zu Friederike, hatte
Sirius ein Herz aus Gold, wie sein Vater Pascal. Friederike dagegen,
schien nicht meinen Charakter geerbt zu haben.
Da saß sie,
meine Tochter, die mit ihren vier Jahren wie eine Siebenjährige
wirkte. Sie schien mich nicht zu bemerken und tat mal wieder das, was
sie am liebsten tat, außer unsere Bibliothek auswendig zu lernen:
Dinge zerstören oder Ricky ärgern. Diesmal ließ sie ihre
überschüssige Energie an ihrem Puppenhaus aus. Der Hund hielt schon
Abstand von ihr.
„Friederike,
hör sofort auf damit!“ tobte ich vor ihr herum und versuchte sie
von ihrem zerstörerischen Tun abzuhalten.
„Weist Du eigentlich wie teuer das
Häuschen war, das dir Onkel Pascal geschenkt hat? Dafür könnte man
auch…“
„Versuch mir ja nicht vorzurechnen,
was ich für wie viel bekommen könnte!“ erwiderte Friederike
patzig.
„Du weißt ja nicht mal was das
Pascalsche
Dreieck ist, wenn wir schon von meinem Onkel reden!
Und so eine mathematische Niete wie du will mir erzählen wie teuer
so ein Holzding ist?!“
Friederike
lief aus dem Raum und ließ mich sprachlos zurück.
Mathematische Niete. Ich war Mechaniker
verdammt, hatte Feinwerktechnik studiert! Ich KONNTE rechnen! Was
bildete sich dieses kleine, verzogene Gör ein…
Zutiefst enttäuscht und traurig setzte
ich mich auf die Couch und grübelte. Ich konnte mich nicht erinnern
solche Probleme mit den Jungs damals gehabt zu haben, warum
entwickelte sich Friederike so? Warum war sie so aggressiv? Ich
sollte wohl mal einen Spezialisten um Rat fragen, doch mit diesem
Monsterkind konnte ich ja nicht zu einem normalen Kinderarzt fahren,
der glaubte mir doch nie, dass sie erst vier war!
Ich wusste
nicht was ich tun sollte. Es war nicht das große Thema mich
zeitweise um vier Kinder zu kümmern, die Zwillinge wurden
weitgehendst von ihren Vätern versorgt, die entgegen ihrer Pläne
bei uns wohnen geblieben waren, weil sie sonst Probleme mit der
Versorgung der Kinder bekommen hätten und sich die Miete für eine
entsprechende Wohnung und den Lohn für die Nanny nicht leisten
konnten.
Zum Glück war Sirius unproblematisch.
Aber Friederike bereitete mir große Sorgen. Nicht nur das sie
unnatürlich weit entwickelt war, sie hatte einen geradezu bösartigen
Charakter. Ich versuchte sie zur Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft
zu erziehen, hatte aber keinen Erfolg damit.
Als Lars am
Nachmittag nach Hause kam, sah er sofort dass mit mir etwas nicht
stimmte. Er sah mich schief an, sagte jedoch nichts und kümmerte
sich erst mal um seine Söhne, während ich unser Abendessen
vorbereitete. Nachdem wir gegessen hatten, die Zwillinge in ihren
Bettchen schlummerten und die größeren Kinder sich noch ein wenig
die Zeit vertrieben, ehe sie ins Bett mussten, nahm mich mein Sohn
auf die Seite.
„Du siehst nicht gut aus, Dad. Was ist los? Ärger mit den Kindern?“
Ich seufzte und spielte mit meinen
Fingern. „Es geht schon, danke.“
Lars schüttelte leicht belustigt den
Kopf. „Mach mir nichts vor, Vater. Ich weiß was mit meiner lieben
Halbschwester los ist. Und ich weiß wie du dich fühlen musst. Ich
würde mich auch so fühlen, wenn Pascal mich so behandeln würde,
wie dein „Ehemann“ das tut. Ich soll dich übrigens von ihm
grüßen und dir ausrichten, das er morgen vorbeischaut.“
Lars sprach
das Wort „Ehemann“ sehr ironisch aus. Und er hatte damit ja
vollkommen Recht, das war keine Ehe, die wir führten. Die existierte
nur auf dem Papier und ein goldener Reif um meinen linken
Mittelfinger erinnerte daran, das es dazu auch ein Gegenstück gab,
besser gesagt, geben sollte. Denn wie in einer Partnerschaft fühlte
ich mich schon lange nicht mehr.
„Danke“ antwortete ich tonlos. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich drüber freuen sollte, eigentlich war es mir inzwischen egal. Und wenn ich ganz ehrlich war, hielt ich diese „Ehe“, dieses Leben nur noch aufrecht, weil ich Friederike nicht aufgeben wollte. Denn merkwürdigerweise, obwohl sie ihn ja auch kaum zu Gesicht bekam, hing sie sehr an ihrem Vater. Oder war es gerade weil sie ihn kaum zu Gesicht bekam? Oder war es diese Seelenverwandtschaft, die die Beiden zu verbinden schien?
Wie auch
immer, ich wollte ihr den Vater nicht nehmen. Und was noch wichtiger
war, ich war wild entschlossen sie zu einem anständigen Sim zu
erziehen. Ich gab die Hoffnung nicht auf, ihre negativen Energien in
die richtigen Bahnen lenken zu können. Und das ging nur in einem
intakten Elternhaus, auch wenn der andere Elternteil viel arbeitete.
Wir schwiegen uns eine Weil an, dann
meinte Lars: „Warum gehst du nicht wieder arbeiten? Du musst hier
raus, du brauchst etwas anderes als Kinder in deinem Leben. Dir hat
dein Job doch immer Spaß gemacht, ich erinnere mich gut, als du uns
Kinder mal mitgenommen hattest, wie stolz du uns deine Maschinen
gezeigt hast. Fehlt dir das denn nicht?“
Wieder
seufzte ich. Lars hatte einen wunden Punkt bei mir getroffen. Ich
liebte meine Arbeit und ich vermisste meine Maschinen, sowie meine
Kollegen, mit denen man über alles klönen konnte und immer mal ein
Späßchen drin war. Lars hatte Recht. Sie fehlten mir.
„Ich würde sehr gerne wieder
arbeiten gehen“ antwortete ich frustriert. „Aber meinst du die
nehmen mich wieder? Ich bin doch jetzt ein paar Jahre raus… Und was
wird mit den Kindern? Wer soll auf die aufpassen?“
„Ah, was sind denn die viereinhalb
Jahre! Du bist schließlich nicht irgendein Mechaniker gewesen, du
warst für die wichtigsten Teile der Zeitmaschinen verantwortlich!
Und vergessen hast du ja wohl nichts! Dein Chef nimmt dich mit
Kusshand! Und um die Kinder mach dir keine Sorgen. Ich würde
Friederike auf Sirius Schule in der Vorschule anmelden, dann ist sie
beschäftigt und für die Zwillinge holen wir eine Nanny, wenn Pascal
und ich gleichzeitig arbeiten müssen. Die Kosten für die Schule
übernimmt Friedbert sowieso und die Nanny schaffen Pascal und ich
schon. Hier müssen wir ja keine Miete zahlen.“
Ich dachte
über Lars Vorschlag nach und je mehr ich das tat, umso mehr gefiel
mir die Vorstellung. Ich würde endlich wieder mal hier raus kommen,
weg vom Kinder hüten, so sehr ich sie auch liebte, weg von der
Alltagstristesse. Ich könnte endlich wieder etwas Produktives tun,
könnte endlich wieder zeigen, was ich drauf hatte. Und so klemmte
ich mich ans Telefon und leitete ein paar Dinge in die Wege.
Friederike bekam schnell einen Platz in der Vorschule, der Nachname
öffnete in diesem Bereich schon alle Türen. Nun musste ich nur noch
meinen Chef überzeugen.
Und ich
hatte wieder Glück! Mein Chef Patrick war schlichtweg begeistert,
dass ich wieder zurückkommen wollte und sagte mir direkt am Telefon
meinen alten Job zu! Ich hängte den Hörer ein und schwebte im
siebten Himmel. Ich konnte es kaum fassen, ich würde wieder arbeiten
gehen! Mit einem Freudenschrei lief ich durch Haus und Ricky rannte
mir begeistert kläffend hinterher, als er merkte, dass sein Herrchen
überglücklich war. Von wegen Niete! In diesem Augenblick fühlte
ich mich, als könnte ich die Welt aus den Angeln heben!
Am nächsten
Tag erzählte ich Friedbert von meinem Vorhaben. Er starrte mich
zunächst mit offenem Mund an, als ich ihn vor die vollendeten
Tatsachen stellte und ich fürchtete fast, das er wieder wütend
werden könnte, weil ich ihn wegen Friederike nicht gefragt hatte,
doch dann schien ihm der Gedanke zu gefallen, das sein überaus und
ungewöhnlich kluges Mädchen den Erziehern und anderen Kindern
zeigen konnte, was sie schon alles konnte.
Ich war sicher, Friederike würde sich
ganz schnell „einen Platz in den Herzen“ ihrer neuen Bekannten
sichern.
Friedbert
blieb bis zum nächsten Morgen, dann verschwand er wieder. Ich fragte
gar nicht was ihn mal wieder davon trieb und welchem „Experiment“
er sich widmete, es war mir egal ob er wirklich in seiner Arbeit
ertrank, oder ob sein Experiment simlischer Natur war. Er ließ mich
in Ruhe, so tat es mir nicht zu sehr weh, als ich mal wieder neben
einer leeren Bettseite aufwachte. Ich ertrug dieses Wechselspiel aus
zärtlichen Liebesakten und kalter Ablehnung nicht mehr.
Nachdem ich
den Tag wie immer mit den Kindern verbracht hatte, legte ich mich am
Abend draußen in den warmen Sand vor unser Haus. Ich schaute in die
Sterne und ließ meine Gedanken schweifen. Manchmal wünschte ich
mir, ich könnte dort hinauf, weit, weit weg von Allem…
Manchmal machte man sich solche
Gedanken und man wusste genau, dass man es in Wirklichkeit nie tun
würde, auch wenn man die Gelegenheit dazu hätte. Was müsste ich
dann alles aufgeben… Einen eiskalten Ehemann, aber auch meine
Kinder, meinen Bruder, von dem ich seit seinem Besuch nichts mehr
gehört hatte und um den ich mich auch sorgte…
Und Lara.
Ich
telefonierte inzwischen oft mit ihr, machte mir auch Sorgen um sie.
Sie war alleine, seit Lutz so plötzlich starb. Sie sagte mir einmal,
dass sie zwei wunderbare Männer verloren hatte und das nicht noch
einmal erleben wollte, so ließ sie niemanden mehr an sich heran.
Diese Aussage tat mir weh, denn ich wusste was sie meinte und ich
fühlte mich schuldiger als je zuvor. Ich war an ihrer Einsamkeit und
an ihrem Schmerz schuld und ich konnte das nie wieder gut machen.
Ich hatte
auch heute wieder mit ihr telefoniert, hatte ihr erzählt, dass ich
wieder arbeiten gehen wollte und sie freute sich für mich und sagte
mir, dass dies ein sehr positiver Schritt sei. Ich vermutete Lars
unterhielt sich ab und zu mit ihr über mich, was mir zwar unangenehm
war, doch ich konnte es ihm nicht verbieten. Andererseits war es ein
schönes Gefühl, das Lara sich scheinbar ebenso um mich zu sorgen
schien, wie ich mich um sie…
Lara war nun
einsam nachdem Lutz sie verlassen hatten und ich war einsam im
Herzen. Ich sehnte mich so sehr nach Wärme und Zuneigung - und nach
dem alten Leben, das ich mit Lara hatte und nur für den Kick
wegwarf. Mein Herz krampfte sich zusammen und Tränen brannten in
meinen Augen. Ich vermisste sie und jedes Mal, wenn ich an sie
dachte, wurde mir immer schmerzlicher bewusst, das ich sie immer noch
liebte, nach allem was war, nach all der Zeit…
Ich liebte sie von ganzem Herzen und
ich wusste, irgendwann würde ich an meiner Liebe zu Grunde gehen…
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