Freitag, 10. Januar 2014

Teil 31 - Ruhe

Vorher: Teil 30 - Zeit

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Desinteressiert legte ich das Buch zur Seite und starrte Löcher in die Luft. Es war nun schon der fünfte Tag nach meinem Nervenzusammenbruch und ich fühlte mich wieder fit, zumindest was das körperliche anbelangte.
Ich hatte Glück das Lars mich gefunden hatte als er den Müll raus bringen wollte und sofort Dr. Einsam anrief, der auch postwendend vorbeikam. Er gab mir diverse Spritzen und verordnete mir ein paar Tage Bettruhe, die ich auch sang- und klanglos hinnahm.
Ich gestand mir selbst ein, dass ich einfach mal abschalten musste.


Doch die verordnete Ruhe drang nicht zu meinen Gedanken durch, mein Hirn rotierte und auch die spannenden Bücher, die mir Lars brachte, konnten mich nicht von ihnen ablenken. Niels kam mich am nächsten Abend besuchen, nachdem er in der Arbeit hörte was passiert war und er schien ziemlich geknickt.
„Hey Dad. Du kannst einen wirklich auf Trab halten.“
Ich grinste ihn schwach an. „Da kannst du ja schon mal für euer Kind üben.“
“Es tut mir leid, dass ich dich so angepflaumt habe“ fuhr Niels leise fort. „Ich hatte nicht die Absicht dich so aufzuregen.“


 „Ist schon gut“ gab ich seufzend zurück. „Du hast es gut gemeint und du warst vollkommen im Recht. Es war eine Panikreaktion von mir und es wäre Wahnsinn gewesen. Ich muss im Hier und Jetzt mit meinem Leben und seinen Widrigkeiten fertig werden.“
Niels lächelte mich an und wir schwiegen eine Weile. Es tat gut ihn bei mir zu haben, er war zu einem wunderbaren jungen Mann herangewachsen und wie auch auf seinen älteren Bruder, war ich ungemein stolz auf ihn. Das er sich im Labor eingemischt hatte, zeugte nur für seinen scharfen Verstand und für seinen guten Charakter. Ich wünschte Friederike wäre mehr wie ihre Halbbrüder.


Niels stand auf und verabschiedete sich von mir. „Ich muss wieder los, Dad, noch einiges für die Hochzeit organisieren. Und ich soll dich von Mum grüßen. Sie hat sich Sorgen gemacht, als sie gehört hatte das es dir nicht gut geht.“
Erstaunt sah ich ihn an. „Sie macht sich Sorgen? Um mich?“
Mein Sohn nickte. „Weißt du das nicht? Sie fragt mich jeden Tag nach dir, wenn wir verschiedene Schichten haben.“
Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich das freute, wie sehr mein Herz bei diesen Worten hüpfte.


Ich schüttelte die Erinnerungen an das Gespräch ab und stand auf, um mir etwas zu Essen zu machen. Das Haus war leer, da der Arzt mir absolute Ruhe, auch vor den Kindern, verordnet hatte, schickten wir Friederike und Sirius in getrennte Feriencamps. Mein Enkel hatte sich geweigert mit seiner Cousine zusammen zu fahren.
Pascal und Lars waren mit den Zwillingen bei Jenny, Pascals und Friedberts Schwester und Friedbert war seit zwei Tagen auf einer Tagung an der Westküste und würde erst morgen Mittag wieder nach Hause kommen. Einerseits genoss ich die Stille, kein Fußgetrappel der Kinder, kein Gezanke der Größeren, kein tiefer Männerbass, der sie zur Ordnung rief. Andererseits kam mir der große, postmoderne Bau aus gleißend weißen Backsteinen nun unwirklich leer und einsam vor. Auch wenn die Ruhe mir gut tat, meine Familie fehlte mir. Doch vor Allem fehlte mir jemand, der für mich da war.


 Frustriert warf ich die Kühlschranktür wieder zu. Irgendwie hatte ich keinen rechten Appetit, obwohl mir der Magen knurrte. Ich hatte einfach keine Lust, mich mit dem Essen in der Hand vor den Fernseher zu knallen und die Couch - Potato zu geben. Nein, ich spürte den unbändigen Drang etwas zu unternehmen, ich musste hier raus, etwas anderes sehen, mit jemandem reden. Patrick fiel mir zwar ein, doch der hatte immer noch mit Blues Familie zu kämpfen wie Niels erzählte und da konnte er nicht noch einen durchgeknallten Freund gebrauchen.


Doch da war auch noch Lara. Ich starrte unentschlossen den Telefonhörer an. Sollte ich sie anrufen? Ich riss den Hörer aus der Halterung und wählte hastig ihre Nummer. Fast wünschte ich, dass sie nicht da war, doch kurz darauf hörte ich ihre warme Stimme in meinem Ohr.
Ich musste mich mehrmals räuspern, doch dann brachte ich endlich ein paar Worte heraus. „Lara? Hier ist Terry… Ich hatte mich gefragt… Ich meine… Ich würde gerne in die Stadt zum Essen fahren und wollte dich fragen…“
Ich konnte spüren wie Lara am Telefon lächelte. „Das ist schön, dass du fragst, Terry. Ich würde gerne mit dir Essen gehen.“


Ich machte mit ihr eine Uhrzeit aus, dann hing ich den Hörer freudestrahlend ein. Aufgeregt wie ein Teenager hüpfte ich unter die Dusche und schlüpfte in frische Klamotten. Dann machte ich mich vergnügt auf den Weg ins Tal. Lara wartete schon auf mich und wir fuhren mit dem Taxi in die Downtown, zu unserem ehemaligen Lieblingslokal. Ich wusste das Lara hier gerne hinging und das Essen war gut, also fiel die Wahl des Restaurants nicht schwer.
Wir unterhielten uns über dies und das, doch bald kam das Thema auf meinen Nervenzusammenbruch.
„Terry, bist du dir sicher, das du nicht etwas an deinem Leben ändern möchtest?“ fragte sie mich besorgt.


 „Ich möchte schon“ gab ich zurück. „Sehr gerne sogar. Doch ich weiß noch nicht wie. Friedbert wird mir die Hölle auf Erden bereiten und er wird nicht auf Friederike verzichten wollen. Doch sie ihm alleine zu überlassen, das will ich auch nicht, wer weiß, was er aus ihr macht! Und was ist mit den anderen Kindern? Lars und Pascal schuften, damit später mal alle drei aufs College können, Sirius wird wahrscheinlich sogar schon bald gehen, wenn sein Wachstumsschub vorbei ist, er ist so begabt, das sich LaFiestaTech um ihn gerissen hat! Die beiden verlassen sich doch auf mich…“


Lara nickte und wir aßen stumm unser hervorragendes Essen auf. Plötzlich legte sie ihre Hand auf meinen Arm und streichelte sanft darüber.
„Weißt du Terry, ich mache mir wirklich Gedanken um dich, ich sehe, dass du unglücklich bist, dass du leidest. Du siehst so müde aus und auch wenn unsere Kinder und Enkelkinder dich lieben und schätzen, ist es zuviel was du dir zumutest, das hat man doch letzte Woche gesehen…“
Ich schluckte und traute mich kaum Lara anzusehen. Sie wusste genau was los war und was in mir vorging, da war ich sicher.


„Du darfst so nicht weitermachen, Terry. Es gibt ein paar Sims, die dich schrecklich vermissen würden, da bin ich sicher.“ Lara steckte ihre Finger zwischen meine und ihr Daumen streichelte den meinen. „Und unser noch ungeborener Enkel würde seinen Großvater bestimmt noch gerne kennen lernen.“
Lars Worte munterten mich wieder auf und ich gab ihr Lächeln zurück.
„Wollen wir tanzen gehen?“ schlug ich leise vor und Lara nahm freudig an.


Wir gingen hinunter zur Tanzfläche und ich bot Lara meinen Arm. „Hoffentlich trete ich dir nicht auf die Füße“ meinte ich mit einem entschuldigenden Grinsen. „Ich hatte die letzte Zeit nicht viel Gelegenheit zum Tanzen.“
Lara lächelte nur und legte ihre Hand in die meine. Sie wusste das ich nie so ein guter Tänzer wie Lutz war, oder je sein würde.


Und doch schien sie sich wohl in meinen Armen zu fühlen, mindestens genauso wohl, wie ich mich damit fühlte, sie in meinen Armen zu halten. Wir bewegten uns langsam zum Takt zur Musik und es war, als wäre es nie anders gewesen.


Ich schlug Lara vor noch etwas spazieren zu gehen und wir liefen durch den Park. Am See ließen wir uns auf den Boden nieder und sahen in die Sterne, wie wir das früher oft getan hatten, als wir ganz frisch zusammen waren. Wir versuchten Sternbilder zu benennen, was wie früher in kleinen, lustigen Diskussionen endete. Ich fühlte mich herrlich entspannt und hätte ewig dort im Gras liegen können, doch leider mussten wir irgendwann nach Hause.


Ich brachte Lara noch vors Haus, ich wollte sie nicht alleine laufen lassen. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ihr unterwegs etwas passiert wäre.
Es fiel mir schwer, mich nach diesem wundervollen Abend von ihr zu verabschieden und ich hoffte inständig, das sie mich vielleicht noch auf einen Kaffee mit rein nehmen würde…
Doch das wäre wahrscheinlich zuviel des Guten. So druckste ich nur herum und wusste nicht was ich zum Abschied sagen sollte.


Lara hob ihre Hand und streichelte mich über die Wange. „Geh nach Hause, Schmusebär. Es ist schon spät…“
Kraftlos glitt ihre Hand von meiner Wange und sie drehte sich von mir weg, um ins Haus zu gehen.
 

Ich griff nach ihrem Arm und zog sie zu mir heran, drückte ihre Körper fest an mich und küsste sie. Lara zuckte kurz zusammen, dann schlang sie ihre Arme um mich und erwiderte meinen Kuss.
Gott, wie hatte mir das gefehlt! Wie hatte sie mir so gefehlt! In diesem Augenblick wurde mir so richtig bewusst, dass ich sie immer noch liebte, das ich nie aufgehört hatte sie zu lieben…


 Und Lara schien es ebenso zu gehen. Sie zog mich ins Haus, in ihr Schlafzimmer und es dauerte nicht lange, da lagen unsere Klamotten auf dem Boden…


Und wir dort, wo wir eigentlich nicht sein sollten…
Ich ging an diesem Abend nicht mehr nach Hause. Wir verbrachten die Nacht zusammen und sie war erfüllt von Sehnsucht, Leidenschaft, Vertrautheit und Liebe, die ich so lange missen musste…

 
Am nächsten Morgen ging ich zurück auf den Kurioshügel. Ich war glücklich wie schon lange nicht mehr, die Welt strahlte wieder in den wunderbarsten Farben, mein Leben erschien nicht mehr grau in grau. Ich fühlte mich, als wenn mir die Welt zu Füssen liegen würde…

Ich kam oben an und blieb abrupt stehen. Der Van stand wieder vor der Tür, Friedbert war früher zu Hause…
 

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