Freitag, 10. Januar 2014

Teil 30 - Zeit

Vorher: Teil 29 - Donnerwetter

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Müde und gerädert ging ich in die Küche, um mir ein kleines Frühstück zu machen. Ich aß mit wenig Appetit, Friedbert pflegte zurzeit zu Hause zu schlafen und ich hatte mich seit unserem Streit auf die Couch verzogen. Doch jede Nacht auf dem harten Ding zu verbringen war auf Dauer nicht bequem und mir taten die Knochen weh. Die Kinder waren schon in der Schule, Friederike musste ich fast zum Schulbus tragen, so wehrte sie sich dagegen, weil sie meinte sie hätte keinen Unterricht nötig, doch ich drohte ihr mit Stubenarrest ohne Bücher und Computer und die Sache war erledigt.


Friedbert betrachtete sich die Szene, wie ich Friederike entschlossen zum Schulbus schleifte, mit eiserner Mine. Er hieß es nicht gut, was ich da tat und wie ich mich seit der Auseinandersetzung im Labor ihm gegenüber verhielt, doch es war mir gleich. Er hasste mich dafür, ich wusste es, ich konnte es förmlich spüren, wenn er mich mit seinen hellen Augen betrachtete, in die ich mich ehemals so verliebt hatte.


 Wir gingen uns aus dem Weg, er schrieb mir nicht vor, wie ich mit Friederike umgehen sollte, die ich nun fester an die Kandare legte, und er versuchte mir auch nicht in ihrer Erziehung dazwischenzufunken, was mich wiederum verwunderte. Ich fühlte mich seit dem Tag wesentlich besser, was das Alltägliche betraf, doch was meine Gefühle betraf, so ging es mir nie schlechter.
Die Kälte, mit der Friedbert mich regelrecht strafte, traf mich bis in Mark und obwohl er mir in dieser Richtung inzwischen kaum noch etwas bedeutete, tat es mir weh, so gleichgültig behandelt zu werden. Ich flüchtete mich in diesen Augenblicken in meinen Gedanken zu Lara, die ich nun immer regelmäßiger sehen konnte, weil Niels und Stella vorübergehend bei ihr wohnten, bis sie sich ein eigenes Häuschen leisten konnten.


 Ich war sehr froh über diesen Umstand, nicht nur dass ich meinen Sohn nun wieder regelmäßig sah, der mir die Jahre, die er auf dem College verbrachte, gefehlt hatte, ich konnte auch Laras Nähe genießen, wenn ich Niels von der Arbeit nach Hause begleitete. Niels arbeitete inzwischen ebenfalls für die Labs, Patrick hatte sich geradezu um ihn gerissen mit seinem Abschluss. Wenn Niels so weitermachte, würde er bald das Geld für ein eigenes Haus zusammenhaben und konnte mit Stella viele grüne Kinder bekommen.
Doch das würde auch bedeuten, dass ich Lara nicht mehr so oft sehen konnte. Keine Gelegenheiten zum Plauschen mehr, keine Abendessen mit ihr und den Kindern, fast so wie früher…
Mein Herz krampfte sich zusammen bei der Vorstellung und ich realisierte, dass mir dies noch mehr wehtat, wie dieses Nebeneinanderher leben mit Friedbert.


 Ich machte mich endlich auf den Weg ins Tal um Niels einzusammeln. Lara kam kurz nach Draußen um Hallo zu sagen und winkte uns noch nach, als wir die Straße hinunter liefen. Mir war zum Heulen zumute, hätte das nicht früher so sein können…
Geknickt lief ich neben meinem Sohn her, der sehr wohl merkte, was mit mir los war, aber nichts sagte. Vielleicht war Niels auch zu sehr in seinen eigenen Gedanken gefangen, schließlich wollte er bald heiraten und Vater wurde er ja auch.
Wir gingen an unsere Arbeitsplätze, ich überwachte weiterhin den Umbau der „Alten Tante“, und Niels schrieb weiter an der neuen Steuersoftware. Auf der Arbeit hatten wir nicht sehr viel miteinander zu tun, ich war eher mit Justin zusammen, der heute überhaupt nicht gut drauf war.


 „Hey Justin, was ist los mit dir?“ fragte ich ihn, als ich argwöhnisch beobachtete, wie er ein Teil zum dritten Male falsch herum einbauen wollte.
Justin ließ den Kopf hängen und ich musste mit Entsetzen feststellen, das der junge Mann zu weinen anfing. Ich warf mein Handbuch zur Seite und ging zu ihm.
Mensch Junge, was hast du?“ Ich nahm ihn mit in die Cafeteria, die zum Glück leer war und setzte ihn auf einen der Stühle. Ich besorgte ihm ein Glas Wasser, das er dankbar annahm. „Komm, nun erzähl mal. So wie heute warst Du ja noch nie drauf. Was ist los? Fühlst du dich nicht gut?“


 Ich musste mich noch einen Moment gedulden, bis der junge Mann in der Lage war zu sprechen. „Terry, ich weiß nicht was ich machen soll. Blue verlässt mich.“
Ich machte große Augen, Justin und Blue klebten doch seit ich sie kannte regelrecht aneinander und plötzlich war es aus?
“Warum das? Ist etwas passiert?“ fragte ich entsetzt.
Ja“ schniefte Justin. „Blue ist schwanger und ihre Sippe hat nun verlangt, dass sie unverzüglich nach Hause zurückkehrt. Ohne mich!“
Sprachlos setzte ich mich zu ihm. „Blue… ist schwanger? Aber warum verlässt sie dich dann? Ich dachte ihr wolltet heiraten?“
Justin nickte. „Ich hatte sie gefragt, ja. Und sie hatte auch angenommen. Aber das hätte sie gar nicht tun dürfen, sie darf noch gar nicht heiraten.“


 Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Wieso das denn nicht? Sie ist doch erwachsen, sie kann doch heiraten wann sie will…“
Justin schüttelte den Kopf. „Nein Terry, das ist es ja gerade. Blue ist noch nicht erwachsen. Blue ist nach unseren Maßstäben bemessen gerade mal vierzehn Jahre alt.“
Nun war es bei mir endgültig aus.
Sie ist WIE alt? Und da habt ihr… da hast du… du hast sie trotzdem geschwängert? Wusstest du das nicht schon vorher??“


 Nein“ antwortete Justin. „Ich wusste nicht wie alt sie war, ich meine, sieh sie dir doch an! Würdest du glauben, das Blue eigentlich ein vierzehnjähriges Mädchen ist, das einen erwachsenen Mann verführt hat?“
Nein, das konnte ich wahrlich nicht glauben, wenn ich daran dachte, welche Wirkung Blue auf Justin hatte.
Aber was ist denn mit den männlichen Xeoniern, die würden Blue ihr Alter doch auch nicht ansehen…“
“Doch, das tun sie. Du erinnerst dich an den süßlichen Geruch, den sie verströmt hatte? Der mich so kirre gemacht hat? Genau an diesem erkennen die Xeon-Männer, dass sie noch zu jung ist. Aber bei mir, als Halb-Alien aus diesem Teil der Galaxis, bewirkt er das Gegenteil, das wusste wohl nur noch niemand…“


 Und was wird nun?“ fragte ich den total aufgelösten Justin.
„Was wird? Sie kehrt nach Hause zurück, wo sie unser Kind austragen wird. Ich werde sie nicht begleiten, darauf hat ihre Sippe bestanden, ansonsten würde sie dafür sorgen, dass ich nie mehr Kinder zeugen könnte. Blue wird auch nicht mehr zurückkehren, wir werden uns nie wieder sehen und was fast noch schlimmer ist, ich werde niemals mein Kind sehen!“
Justin heulte nun wie ein Schlosshund. Ich versuchte mich in seine Lage zu versetzen, wie er sich wohl fühlen mochte, wie er mit dem Gedanken klarkam unwissentlich ein Verbrechen begangen zu haben. Und ich dachte, ich hätte Probleme…


 „Ich weiß nicht was ich sagen, oder dir raten soll…“ erwiderte ich endlich. Justin wischte sich die Tränen aus den Augen.
Schon gut Terry, du hast mir zugehört, das ist mehr wert als alles andere. Meine Väter helfen mir auch so gut es geht, ich packe das schon.“
Ich glaubte Justin aufs Wort, schließlich kannte ich seine Familie inzwischen gut genug um zu wissen, das sie wie Pech und Schwefel zusammenhielt.
“Weißt du Terry“ sprach Justin weiter, „am liebsten würde ich einfach die Zeit zurückdrehen und es besser machen…“
Justin stand nach diesen Worten auf und machte sich auf den Heimweg, was in seiner momentanen Verfassung wohl auch das Beste war.


 Nachdenklich ging ich mich zurück an die Arbeit. Justins Probleme wollte ich beim besten Willen nicht haben, ich wollte nicht in seiner Haut stecken. Und obwohl ich neugierig war, wollte ich nicht wissen, was Blue´s Familie ihm angedroht hatte. Mir schien, dass man wohl noch viel zu wenig über unsere außerirdischen Nachbarn wusste und die biologischen und kulturellen Barrieren immens waren. Doch die großen Sorgen meines Kollegen und Freundes Justin lenkten mich nicht sehr lange von meinen eigenen ab.


 Justin war noch sehr jung, gerade mal Anfang zwanzig und würde, nachdem er den Kummer über Blue verwunden hatte, wieder eine neue Beziehung finden und eine neue Chance haben. Doch ich, der inzwischen weit über vierzig war, was hatte ich noch für Möglichkeiten… Ich hatte meine Chance vertan, hatte mein schönes Leben mit Lara weggeworfen, nur weil mal ein wenig Flaute auf dem Meer des Lebens geherrscht hatte und meine kostbaren Jahre mit einem eiskalten, berechnenden Individuum wie Friedbert vergeudet.

 Ich hielt plötzlich inne und ließ die Hand mit dem Schraubenzieher sinken. Eine dumpfe Leere machte sich in mir breit. Ich hatte inzwischen so viele sinnlose Jahre mit dem egoistischsten Sim verbracht den man sich vorstellen konnte und dafür die süßeste, liebste Frau verlassen, die man sich vorstellen konnte, wie konnte ich das nur tun…
Entschlossen warf ich das Werkzeug weg und sah auf die Uhr. Noch eine Stunde, dann würden die anderen das Labor verlassen. Dann war die Gelegenheit.


 Ich versuchte ruhig weiterzuarbeiten und als Niels mich zum Feierabend abholen wollte, sagte ich ihm dass ich noch Überstunden bräuchte und schickte ihn alleine weg. Kurz darauf war das Labor verlassen und ich konnte beginnen.
Ich lief in Jills Büro, wo die Schlüssel für die Spezialspinde waren und besorgte mir so die richtige Kleidung. Wie die Maschine bedient wurde, wusste ich inzwischen, denn ich hatte vor kurzem die Prüfung zum Zeitreisenanwärter bestanden. Das bedeutete, dass ich zwar in Begleitung eines erfahrenen Wissenschaftlers die Maschine benutzen durfte, aber nur mit offiziellem Auftrag und nur mit Überwachung. Trotzdem wusste ich alles, um die Maschine zu steuern.


 Ich kehrte zur Maschine zurück und schnell stellte ich die richtige Zeit und die richtigen Koordinaten ein, mein Haus, sieben Jahre früher…
Justin hatte es zwar nur so in den Raum geworfen, doch warum sollte man es nicht tun? Ich war es leid, mein emotionelles Elend, die Kälte, diese unerfüllte Sehnsucht…
Ich würde zurückkehren und es richtig machen. Ich würde wieder glücklich sein…
Ich drückte den letzten Knopf und die Turbinen der Maschine liefen an. Der Boden erzitterte leicht unter meinen Füssen und mein Herz raste vor Aufregung. Gleich, gleich war es soweit…


 Plötzlich ging das Licht aus und mit einem jaulenden Geräusch fuhr die Maschine wieder runter. Dunkelheit und Stille herrschte um mich herum und ich fragte mich, was die Ursache war. Ein Defekt konnte es nicht sein, die „alte Tante“ war auch in dieser Phase des Umbaus betriebsfähig, ab und an wollten die Wissenschaftler auch mal arbeiten. Was war also los?
Dad?!“ Ich sah geradewegs in das erstaunte Gesicht meines Sohnes. „Dad, was machst du da? Bist du wahnsinnig geworden?“
Niels stand vor mir und musterte mich misstrauisch von oben bis unten. „Du wolltest nicht das Ding benutzen, oder?“


 Doch, wollte ich!“ schrie ich meinen Sohn an, völlig die Beherrschung verlierend. Ich hatte einen rettenden Strohhalm gefunden und mein eigener Sohn schaltete mir den Strom ab.
„Wo genau wolltest du hin? Zurück etwa? Um was zu tun?“
“Ja, ich wollte zurück, alles rückgängig machen, was ich verbockt hatte, ich wollte in mein altes Leben zurück, ich wollte zu meiner Frau zurück!“
Niels sah mich entsetzt an und schüttelte den Kopf.
Du wolltest die Zeit verändern! Weißt du was das für Auswirkungen hat, wenn man kopflos in der Vergangenheit rumpfuscht? Es wäre möglich, das ich zum Beispiel nicht mit Stella zusammen wäre, du wärst vielleicht immer noch nur ein einfacher Mechaniker, du hättest Friederike nicht, was ist mit Lars und seinen Kindern? Die gäbe es auch nicht! Es ist gefährlich in die Zeit zu reisen, besonders aus einem egoistischen Grund heraus! Du würdest nicht nur dein Leben verändern, sondern unser aller Leben!“


 Mag sein“ gab ich schon etwas leiser zurück. „Aber du würdest einfach nur mit deinen Kumpels programmieren und wüsstest nichts von deiner Zukunft, auch nicht von Stella!“
“Wenn dem so ist“ erwiderte Niels plötzlich ganz ruhig, „wirst du auch nichts von deinem Fehler wissen, den du gemacht hast, der uns alle unglücklich gemacht hat. Und du wirst ihn wieder begehen.“
Ich klappte langsam meinen offenen Mund zu und starrte meinen Sohn an. Ich hatte es in meinem Wahn nicht von dieser Seite aus betrachtet. Es stimmte, es wäre möglich, das ich in der Vergangenheit ankommen würde und nicht mehr wüsste was passieren würde, ich würde es wieder tun, bis ich wieder an dieser Maschine stehen würde, meinen erwachsenen Sohn bei mir und es würde immer wieder und wieder geschehen…
Ich wollte nicht denselben Fehler noch mal machen.


 „Du hast Recht“ gab ich leise zu und ging aus der Maschine. Niels schaltete den Strom wieder ein und behielt mich dabei genau im Auge.
Ich bringe dich nach Hause, Vater, ehe der Werkschutz noch was merkt.“
Niels brachte mich bis vor unsere Haustür und ging danach unverzüglich nach Hause. Ich starrte ihm nach, ich wusste nicht ob er nun meine Rettung, oder mein Untergang gewesen war…
Plötzlich fing ich am ganzen Körper zu zittern an, meine Nerven gingen mit mir durch, ließen meine Knie weich werden und ich brach vor unserem Haus zusammen


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