Freitag, 10. Januar 2014

Teil 33 - Jenny

Vorher: Teil 32 - Fragen und Antworten

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Jenny Schmidt schlug das Fotoalbum zu, in dem sie sich die alten Bilder aus ihrer Jugendzeit betrachtet hatte. Sie genoss es dann und wann in alten Erinnerungen zu schwelgen, in den schönen, sowie auch in den weniger schönen, die ebenso zu ihrer Jugend gehörten, wie das Salz in die Suppe.


Jenny hatte schon früh erfahren was es hieß Pflichten zu übernehmen, für andere sorgen zu müssen, sich um die jüngeren Geschwister zu kümmern, weil die Eltern fehlten.
Georg und Kathy Kurios bekamen Jenny, die einzige Tochter recht früh, die drei Söhne aber erst recht spät, so dass der Altersunterschied zwischen den Kindern sehr groß war und die Eltern schon verstarben, als die Jungs noch im Teenageralter waren. Jenny, als die Älteste, kümmerte sich um ihre jüngeren Brüder, bis zumindest Friedbert erwachsen war, dann heiratete sie ihre große Liebe Polli Tech #9 und zog mit ihm in ein eigenes Haus im Tal.


Jenny war sich sicher alles Erdenkliche für ihre Brüder getan zu haben, um ihnen einen guten Start ins Erwachsenenalter geben zu können. Doch sie war eben nur die Schwester und nicht Mutter und Vater, deren Verlust gerade den ältesten Bruder sehr hart getroffen hatte, Friedbert nämlich, der seitdem nicht mehr derselbe war.
Jenny erinnerte sich an ihn als Kind, er war zwar schon immer eher ernster und pragmatischer, doch er nahm immer am allgemeinen Familienleben teil, war zugänglich und freundlich. Aber seit die Eltern unter der Erde lagen, erkannte Jenny ihren Lieblingsbruder nicht mehr wieder.


Jenny machte sich große Sorgen um ihn, sie konnte über all die Jahre beobachten, wie er sich immer mehr zurückzog, nur noch in seinen Studien versank und jeglichen sozialen Kontakt mied. Von Friedberts zurückhaltender, aber liebevoller Seele war nichts mehr da, er war kalt und berechnend geworden und Jenny fragte sich warum. Als Friedbert Terry geheiratet hatte, meinte sie noch einen Funken seines alten Selbst gesehen zu haben und sie hoffte, das Terry mit seiner sanften Art ihrem Bruder wieder auf die Sprünge helfen würde, doch sie hatte sich geirrt.


Ihr Bruder wurde schlimmer denn je, nutzte jeden Sim, der ihm in die Quere kam, schamlos aus. Vielleicht wäre es besser geworden, wenn Friedbert einen Partner gehabt hätte, der ihm ebenbürtig war, der ihm Kontra gab und ihm zeigte wie der Hase lief, doch Terry konnte es nicht, er hatte nicht den Biss dazu. Jenny fühlte schon lange, das die beiden Männer nicht miteinander glücklich waren und als sie ihren Schwager gestern mit seiner Exfrau zusammen im Park gesehen hatte, hatte sie Gewissheit. Jenny fühlte sich nun hin- und her gerissen. Einmal war sie wütend auf Terry, der sich offensichtlich wieder zu Lara hingezogen fühlte, die verständlicherweise auch wieder etwas Wärme suchte, nachdem Lutz so früh verstorben war, doch andererseits verstand sie ihn sehr gut, wenn sie daran dachte, das Friedbert sich nicht um ihn und seine Tochter kümmerte.
Würde Polli sie so behandeln, hätte sie sich schon längst scheiden lassen.


Jenny seufzte und griff entschlossen zum Telefon. Sie wählte die Nummer von Friedberts Labor, zu Hause würde sie ihn wahrscheinlich sowieso nicht erreichen. Nach mehrmaligem Klingeln nahm endlich jemand ab und eine unfreundliche Stimme brummte den Namen Kurios in den Hörer.
„Hallo Bruderherz“ meldete Jenny sich.
„Jenny“ gab Friedbert ungehalten zurück. „Was willst Du? Ich bin gerade…“
„Du wirst dir für deine Schwester mal ein wenig Zeit nehmen, kleiner Bruder“ fuhr sie Friedbert wütend an. „Ich möchte mit dir reden, jetzt gleich.“


Jennys Tonfall ließ keine Wiederworte zu und so fuhr Friedbert augenblicklich zu seiner Schwester, die ihn trotz des harschen Tones am Telefon liebevoll begrüßte.
„Komm her, mein Lieber. Ich bekomme dich ja kaum zu Gesicht. Wie geht es dir denn?“
Friedbert nahm auf der Couch Platz. „Sehr gut, danke. Das Projekt läuft sehr gut, ich bin mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Ich konnte jetzt noch den Geschmack verbessern, so trinkt es sich angenehmer.“
„Du trinkst das Zeug doch nicht etwa selbst“ argwöhnte Jenny und betrachtete ihren Bruder von Kopf bis Fuß.
„Sicher“ antwortete Friedbert mit einem Schulterzucken. „Ich lasse mir nicht mehr in die Karten schauen. Als Pascal meine Daten zerstörte, habe ich eines gelernt: niemandem zu vertrauen.“


„Mag sein“ gab Jenny zurück. „Doch was ist mit den Nebenwirkungen? Am Ende vergiftest du dich noch selbst!“
„Ich trinke das Zeug schon so lange und sie mich an! Es hat die gewünschte Wirkung, maximale geistige und körperliche Fitness, ohne sich beim Sport zu quälen, lernen mit Leichtigkeit! Das Mittel wirkt geradezu fantastisch bei Kindern, sieh dir doch Friederike an! Sie ist perfekt, so perfekt wie ein Kind nur sein kann, sie ist mein Werk, meine Erbin!“
Jenny sah Friedbert entsetzt an, beobachtete, wie sein Blick in die Ferne entschwunden war, mit einem Glitzern in den Augen, das sie an Wahnsinn erinnerte.
 

Jenny wusste nichts mehr dazu zu sagen. Sie spürte, dass ihr Bruder sich in eine Richtung entwickelt hatte, aus der es für ihn keine Wiederkehr mehr gab. Doch sie war seine Schwester und sie wollte, dass er glücklich war, dass seine Tochter glücklich wurde.
„Weißt du Friedbert, du solltest dir ab und an mal eine Pause gönnen. Deine Tochter vermisst dich, sie sollte nicht nur lernen, sie sollte ab und an mal mit ihren Eltern etwas unternehmen, das würde auch dir gut tun.“
Friedbert winkte ab. „Sie ist glücklich. Sie lernt, was kann glücklicher machen. Außerdem ist Terry da um mit ihr zu spielen.“
 
  
„Das ist der nächste Punkt, mein Lieber. Auch Terry ist nicht glücklich, du kümmerst dich kaum um ihn…“
Friedbert schnitt seiner Schwester das Wort ab. „Terry hat alles was er braucht! Mach dir da mal keine Sorgen!“
„Ach ja?!“ gab Jenny nun sichtlich erbost zurück. „Wenn er so glücklich mit dir wäre, warum sehe ich ihn dann mit Lara im Park?“
Friedbert starrte Jenny mit offenem Mund an. „Wie…“
„Ja, Terry scheint sich wieder öfter mit ihr zu treffen, sie wirkten sehr vertraut!“
„Naja“ gab Friedbert unwirsch zurück, „sie waren ja lange verheiratet…“
Jenny schüttelte den Kopf. „Nicht so, du Schaf, er hat sie geküsst! Ich habe sie gestern Abend in der Downtown gesehen!“


 Friedbert starrte auf seine Hände, sagte aber nichts. Jenny versuchte ihrem Bruder in die Augen zu sehen, doch Friedbert drehte den Kopf weg.
„Was ist nur los mit dir? Du bist eiskalt, igelst dich ein. Du hast dich so verändert. Arbeit und Wissen ist nicht alles, es gehört auch Liebe, Wärme und Glück dazu. Und dafür muss man arbeiten, nicht nur für Forschungsergebnisse. Mich wundert nicht, dass Terry sich das woanders sucht, wenn er das bei dir nicht findet. Und ich glaube schon, das er es bei dir gesucht hat.“
Jenny legte eine Hand auf Friedberts Arm. „Kümmere dich besser mal um deine Familie. Sonst hast du bald keine mehr.“


Friedbert nickte und stand auf. „Werde ich, verlass´ dich drauf. Ich danke dir, Schwesterchen.“
Jenny lächelte und umarmte ihren Bruder. „Du wirst das schon wieder hinbiegen, das weiß ich.“
Friedbert nickte und verließ Jennys Haus mit eiligen Schritten. Kaum war die Haustür ins Schloss gefallen, erstarb Jennys Lächeln. Irgendwie war sie plötzlich der Meinung, es wäre besser gewesen, sie hätte sich nicht eingemischt.


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